Donnerstag, 18. November: Auf ein kleines Jubiläum kann das Kurzfilmfestival Köln (KFFK) im Jahr 2021 bereits zurückblicken, da es heuer zum 15. Mal stattfindet. Nachdem man im Vorjahr aufgrund von Corona gezwungen war, komplett in die digitale Welt auszuweichen, waren unter den entsprechenden Auflagen in diesem Jahr nun auch wieder Live-Veranstaltungen und persönliche Begegnungen möglich. Die sind insbesondere im Wettbewerbsbereich „Kölner Fenster“ nicht zu unterschätzen, weil hier aktuelle Arbeiten von Kölner FilmemacherInnen präsentiert werden und Anlass bieten, dass man sich untereinander kennenlernt und vernetzt. Häufig sind in diesem Segment Abschlussarbeiten von AbsolventInnen der beiden Kölner Nachwuchsschmieden zu bewundern, der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM) und der Internationalen Filmschule Köln (ifs). Während das frisch wiedereröffnete Filmhaus in der Maybachstraße dem KFFK als Festivalzentrale diente, wo auch viele der Wettbewerbsprogramme zur Aufführung gelangten, zeigte man das aus sieben Kurzfilmen unterschiedlicher Lauflänge und Machart bestehende „Kölner Fenster“ auch in diesem Jahr wieder im Filmforum des Museums Ludwig am Kölner Dom.
Bandbreite filmischer Möglichkeiten
Zahlreiche der RegisseurInnen der Filme, die um einen von Finder TV gesponserten Publikumspreis konkurrieren, waren zur Projektion persönlich anwesend und unterhielten sich im Anschluss mit der KFFK-Moderatorin Sandra Riedmair über ihre Arbeiten. Den Auftakt machte „Lydia“ von Christian Becker, eine Art Found-Footage-Film mit experimenteller Ausrichtung. Erst im Publikumsgespräch enthüllte Becker, was im Film selbst unausgesprochen blieb: Die im Film porträtierte Lydia und ihr Ehemann Wolfgang waren Onkel und Tante des Filmemachers. Sie hatten ihm noch zu Lebzeiten Fotomaterial vererbt, später kamen Super-8-Filme und ein Tagebuch des Onkels hinzu. Daraus kompilierte Becker dann „Lydia“, der im Bild Urlaubsaufnahmen des Ehepaares aus den 1970er und 80er Jahren zeigte, während ein Sprecher die Tagebuchauszüge Wolfgangs aus dem Jahr 1992 darüber sprach. Die daraus entstehende Diskrepanz „zwischen Bild und Text war als Kunstgriff durchaus gewollt“, so Becker. Auch „Winter Colours“ von Adrianna Wieczorek weist autobiografische Bezüge auf. Der KHM-Diplomfilm der polnisch-stämmigen Filmemacherin ist ein Animationsfilm auf Grundlage der Rotoskopie, der 1971 spielt und eine Sammlung der kleinen Geschichten darstellt, die Wieczoreks Großeltern dieser einst erzählt hatten. Dass in der Dramaturgie zum Film daraus schließlich eine Vater-Tochter-Geschichte wurde, war ein filmisches Mittel, um den Konflikt der Geschichte stärker zu betonen. „Like You Really Mean It“ ist ein 13minütiger Experimentalfilm, in dem sich die Regisseurin Ale Bachlechner in drei verschiedenen Rollen selbst in Szene gesetzt hat. Diese drei Kunstfiguren „sind ein bisschen drei Anteile von mir, die sich gegenseitig Ratschläge geben, sich dabei aber auch immer wieder gegenseitig widersprechen“, erläuterte die Filmemacherin und Performance-Künstlerin beim anschließenden Bühnengespräch. Da sie schon längere Zeit von Coachings und Ratgebern fasziniert sei, habe sie diese als Ausgangspunkt für ihren Film genommen, der als kleines Corona-Projekt entstand und im eigenen Studio mit kleinem Team realisiert wurde.
Von Stille und Coming Outs
Als Deutschlandpremiere wurde dann Dmitry Zakharovs „Silence“ gezeigt, in dem der Regisseur stumme Segmente aus den Reden von internationalen Politikern kommentarlos aneinandergeschnitten hat. Im Gespräch erläuterte er, dass er zunächst eine Installation zu Stille geplant hatte, die wegen Corona nicht zustande kam. Für seinen Film arbeitete er dann mit einem Algorithmus, der Stille in Videos erkennt, um diese anschließend herauszuschneiden. Für sein Projekt war dann die Invertierung dieses Programms notwendig. Zu den Hintergründen erläuterte Zakharov: „Stille ist für mich ein Zurückkommen zu mir selbst, etwas sehr Positives.“ Der letzte Film im Programm, zu dem jemand aus dem Team anwesend war, war der 34minütige Spielfilm „Jackfruit“ von der ifs-Studentin Thuy Trang Nguyen. Als Gesprächspartnerin war Hauptdarstellerin Hồng Ngọc Lê ins Filmforum gekommen, die als Laie die Rolle bekam, weil sie von der befreundeten Regisseurin darum gebeten worden war. Die Geschichte im Film handelt vom Coming Out einer Vietnamesin, die in dritter Generation in Deutschland aufwächst. „Die Rolle hat mich sehr an meine eigene Familie und an meine eigene Geschichte mit meinem Coming Out erinnert, da war wenig geschauspielert“, erzählte Lê in Köln. Deswegen schließt sie es auch eher aus, dass sie trotz dieser „aufregenden Erfahrung“ ein zweites Mal vor einer Kamera stehen wird, zumal ihr eigentlicher Beruf als Maschinenbauingenieurin höchst zeitintensiv sei. Am Sonntag entscheidet sich bei der Preisverleihung des KFFK dann auch, welcher Beitrag im „Kölner Fenster“ beim Publikum am besten ankam.
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