Berühmt sind die Kamele. Diese Skulpturen, die wie echte Tiere aussehen, ebneten Nancy Graves Ende der 1960er Jahre die internationale Karriere. Auf die Ausstellung im New Yorker Whitney Museum 1969 folgte schon bald der Ankauf von zwei Kamelskulpturen durch Peter Ludwig. Heute sind sie Wahrzeichen des Ludwig Forum in Aachen – eine gefährliche Ehre, weil sie auf ihre exotische Erscheinung reduziert werden könnten. Die Komplexität solcher Arbeiten erschließt sich jetzt im Ludwig Forum, wo die erste Retrospektive von Nancy Graves (1939-1995) seit langer Zeit zu sehen ist und noch Werke weiterer Künstler ihrer Zeit einbezieht. Von Nancy Graves selbst sind neben den Skulpturen, Installationen und Malereien Filme, Papierarbeiten und Skizzen zu sehen. Sie verdeutlichen, wie ausführlich sich Graves mit ihren Motiven beschäftigt hat, und dass sie dabei wie eine Feldforscherin vorgegangen ist, die nach den Ursprüngen selbst fragt. Folglich ist konsequent, dass sie ihre Motive in der Natur oder in der Höhlenmalerei suchte, dass sie urzeitliche Knochen abgoss, mit Federkleidern auf die Rituale der Schamanen Bezug nahm oder NASA-Aufnahmen von der Mondoberfläche als Malerei umsetzte. Später wurde ihre Kunst abstrakter, etwa bei ihren Bühnenbildern für den Modernen Tanz oder den frei kombinatorischen Skulpturen. Ein zentrales Thema ihrer Arbeiten aber bleibt das Ausstellen selbst, insbesondere der Natur: deren Repräsentation als Kunst. Sie widmet sich dem etwa im Einbezug täuschend echt aussehender, „gefakter“ Materialien oder vermeintlich praktikabler Befestigungen und Sockel, die aber in Bronze gegossen und so als Teile der Werke definiert sind.
Auch John Bock macht das Ausstellen selbst zu einer Sache seiner Kunst. Der 1965 geborene Bock gehört über Deutschland hinaus zu den vitalsten Künstlern der Gegenwart. Er bewegt sich zwischen Neo-Dada, ordnender Recherche und summarischer Theatralik, schöpft aus der Kultur- und der Filmgeschichte, wobei er Abstraktes mit Konkretem kombiniert. Zeichnung, Skulptur und Rauminstallation, performanceartiger Vortrag und Film kommen zusammen, bzw. geht eins aus dem anderen hervor. Wie das zu verstehen ist, zeigt jetzt seine Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn. Bock reflektiert hier die Idee der Retrospektive auf seine Weise, und zwar bis an der Grenze der organisierten Wirrnis. Er arrangiert die Bestandteile früherer Installationen neu und fügt weitere Objekte hinzu. Und er hat nach der Ausstellungseröffnung einen Film inmitten der Installationen gedreht, durch den sich die Anordnung der Dinge wieder verändert hat. Bock erweist sich als Meister der Inszenierung, dessen Installationen ganz leichthin und schräg wirken, dabei mit Bedacht formuliert sind und eine enorme Vielschichtigkeit erreichen. Hierbei wird das Ausstellen selbst zu einem Thema der Ausstellung. Und, eine weitere Verwandtschaft zu Nancy Graves: Auch John Bock geht den Dingen auf den Grund, wühlt sich in die Vergangenheit, die bei ihm oft aus dem Alltag stammt, und überträgt seine Erkenntnisse anschaulich in die Kunst. Kurzum, beide Ausstellungen gehören zu den wichtigsten im November.
„Nancy Graves – Project“I bis 16. Februar I Ludwig Forum, Aachen I www.ludwigforum.de
„John Bock – Im Modder der Summenmutation“ I bis 14. Januar I Bundeskunsthalle, Bonn I www.bundeskunsthalle.de
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