„Das schönste Museums Deutschlands.“ Mit diesem Lob des Bundespräsidenten ging man 1956 an den Start. Tatsächlich spielt die Sammlung des Museum Schnütgen in einer Liga mit dem Bode Museum in Berlin und dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Mit seinen mittelalterlichen Skulpturen, Goldschmiedearbeiten, Textilien und Glasfenstern stellt das Haus kunsthistorisch ein Schwergewicht innerhalb der deutschen Museumslandschaft dar. Als Besucher gewinnt man hingegen den Eindruck, dass dieses Museum mit seiner unvergleichlichen Sammlung zu oft übersehen wird. Schon in Köln hat es keinen leichten Stand, wo alle auf Wallraf-Richartz und Ludwig schauen. Obwohl das Museum gleich am Neumarkt liegt, nimmt man es neben dem mächtigen Bau des Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt nur peripher wahr und man kann es auch nur über dessen Eingangshalle erreichen. Eine denkbar ungünstige Planung von Seiten der Stadt und der Architekten.
Neben dem lärmend vitalen Köln gab es stets auch das Köln der Stille, in dem Raum für Kontemplation und Konzentration war. St. Cäcilien, eine der zwölf Romanischen Kirchen Kölns, besitzt eine Geschichte, die bis ins 8. Jahrhundert zurückreicht. Im warmen Licht seines Kirchenschiffs fand jene Sammlung, die der umtriebige Domkapitular Alexander Schnütgen 1906 der Stadt Köln geschenkt hatte, ihre Heimat. „Es ist ein Museum der Kunst und nicht der Religion“, betont Direktor Moritz Woelk, und dieser Akzent ist ganz entscheidend. Auch wenn die Holz- oder Steinskulpturen der Marien- und Christusdarstellungen aus dem christlichen Kontext stammen, so bietet das Museum seinen Besuchern doch die Möglichkeit, diesen Objekten wie Personen zu begegnen. Die Gesichter der Menschen, die vor 600 oder 700 Jahren auf dieser Erde gelebt haben, besaßen eine ebenso individuelle Note wie unsere heute. Die Konfrontation mit ihnen wird zum Dialog über die Jahrhunderte hinweg. Man braucht einen Moment, um den Blick über ihre Gestalt, ihr Haar, die Falten ihrer Gewänder schweifen zu lassen. Dann spürt man sie jedoch, jene Aura, die tief bewegt und eine Ahnung vom Wunder der Körperlichkeit gibt.
Das Museum bietet ein reichhaltiges Programm an Führungen und Begleittexten, die den Kontext und die Geschichten zu den Kunstwerken und den christlichen Legenden bieten. Die Sammlung konzentriert neben den Kunstwerken aus Köln auch den europäischen Kontext, in dem diese entstanden sind. Viele Arbeiten stammen aus dem Rheinland und Nordfrankreich, dem Zentrum der Gotik. Einen idealen Zugang in die Welt der mittelalterlichen Kunst eröffnet derzeit die Ausstellung „Skulpturen im Blick der Kamera“, die großräumig die Fotografien von Alfred Tritschler präsentiert. Der Frankfurter Fotograf erfasste in den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg die Skulpturen der Sammlung in ihrem ausgelagerten Depot in Alfter. Tritschler verliebte sich mit seiner kleinen Leica in die Schönheit der Heiligen und Propheten, fand neue Perspektiven und arbeitete mit Humor und Präzision. So stellte er eine Nähe zu den Objekten her, die überraschende Erkenntnisse eröffnet. In der Ausstellung kann man dann auch die Originale bewundern, und erleben, wie das dreidimensionale Kunstwerk den Raum erobert. Hat man Tritschlers Bilder gesehen, ist der Hunger auf die Kunst der Bildhauerei unweigerlich entfacht. Man will mehr sehen, und da macht es sich gut, dass man gleich über den kleinen Platz am romanischen Chor von St. Cäcilien vorbei in die ständige Präsentation des Museums gelangen kann.
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