Köln war schon immer eine kreative Stadt, die Kreative aus allen Professionen anzog oder hervorgebracht hat – nicht nur Künstler wie Gerhard Richter, Rosemarie Trockel und Autoren wie Frank Schätzing, ebenso Rechtsanwälte wie Rolf Bietmann, Peter Bach und Rafaele Wilde, Profisportler wie Wolfgang Overath und Lukas Podolski. Oder Erfinder wie Nikolaus August Otto. Jahrelang tüftelte der Autodidakt in Köln-Deutz herum, bis seine Gaskraftmaschine endlich lief. Später erschuf er noch die elektrische Zündung, was den Otto-Motor endgültig zur Mutter der heutigen Automobilindustrie machte. Selbst in späteren Jahren blieb Otto kreativ: In einem Geheimvertrag verpflichtete er seinen Konkurrenten Christian Reithmann, Stillschweigen darüber zu bewahren, dass der einen Gasmotor lange vor Otto gebaut hatte. Dafür bezog Reithmann eine lebenslange Rente. So konnte Ottos Deutz AG damit werben, er sei der deutsche Erfinder des Viertaktmotors. Die Marketing- Idee trug nicht unwesentlich zum Erfolg und zum Mythos bei. Ein paar Jahre später baute ein Ingenieur namens August Horch 1900 in Köln-Ehrenfeld das erste Auto mit einem „stoßfreien Motor“. Die Innovation stieß auf so rege Nachfrage, dass Horch die Horch & Cie. Motorwagen-Werke AG gründete und nach Zwickau umzog. Der „Horch“ galt lange als elegantes Luxusgefährt und als Symbol für Besserverdienende. Nach Querelen schied der Ingenieur aus der Firma aus und gründete dann die Audi Automobilwerke GmbH. Die Marke gibt es noch heute. In Köln produziert derweil die Ford AG.
KREATIVE ERZÄHLUNGEN
Diese Kapitel Kölner Kreativgeschichte werden in offiziellen Darstellungen der Stadt gern übergangen. Das dürfte vorbei sein, denn sie fügen sich bruchlos in ein Label ein, mit dem sich immer mehr Städte weltweit schmücken wollen – auch Köln folgt dem Trend. Nur als „kreative Stadt“ können Städte heute überleben und längerfristig Perspektiven entwickeln, sagt der US-Soziologe Richard Florida. Dem Erfinder des Begriffs, inzwischen auch ein höchst dotierter Berater, gilt als kreativ, wer möglichst viele Mitglieder der „kreativen Klasse“ in seine Kommune lockt und seine Stadtpolitik an den Prinzipien Technik, Talent und Toleranz – kurz den „drei Ts“ – ausrichtet. Erfolg lässt sich auch messen – so Florida. Zum Beispiel am „Gay Index“. Der Schwulen-Anteil an der Bevölkerung soll viel über die lokale Toleranz verraten, aber auch etwas über die Kreativität der Gemeinde, denn viele Schwule arbeiten in Kreativ-/Kulturberufen. In der deutschen Debatte zum Thema wird gerne das erste „T“ unterschlagen. Man kapriziert sich stattdessen auf „Kreative und Künstler“ und Berufe wie Designer, Musiker oder Filmemacher und Bildende Künstler. Tatsächlich rechnen Florida und die Seinen nicht nur diese „Bohemiens“ der „kreativen Klasse“ zu. Für sie gehören auch Naturwissenschaftler, Mediziner, Architekten, Rechtsanwälte, Ingenieure, Computerfreaks, aber auch Köche, Friseure oder Sekretärinnen dazu, vorausgesetzt, sie bewegen sich im „kreativen Umfeld“ und sorgen für Innovationen. Und je mehr, desto besser, denn Wirtschaften ohne Innovation ist heute – Überraschung – nicht mehr denkbar. „Entweder du bist kreativ und innovativ, oder du bist draußen“, hat ein Wirtschaftswissenschaftler dazu lapidar bemerkt. Da tut es gut zu wissen, dass nach EU-Berechnungen weit mehr als ein gutes Drittel der europäischen Erwerbstätigen der kreativen Klasse im Sinne Floridas zuzurechnen sind. Künstler machen dabei nur einen Bruchteil aus.
KREATIVE WIRTSCHAFTSFÖRDERUNG
Die Bandbreite der kreativen Klasse stellt die kommunale Wirtschaftsförderung freilich vor Probleme. Der Slogan „kreative Stadt“ ist attraktiv, aber die Ansiedlung von Rechtsanwälten fördern? Wenn es um Interessenlagen und Einkommen geht, zerfällt die Klasse schnell in kaum kompatible Einzelteile. Die Spanne reicht von prekären Lebensverhältnissen bis hin zu gut bis sehr gut Verdienenden, die in Suburbia residieren – mit eigenem Haus, zwei Autos und Familie. Kreative Geringverdiener leben dagegen lieber citynah und suchen ihre Inspirationen in urbaner Atmosphäre. Dabei schaffen sie ganz nebenbei die lebendige Stadt und fungieren als „Standortbildner“ und Produzenten von innerstädtischer Lebensqualität, die die Besserverdienenden wiederum konsumieren, so die Sozialwissenschaftlerin Sabine Hafner. Eine gewisse Gemeinsamkeit stellt sich freilich wieder her, wenn die Kreativen aller Gruppen nach ihren Wünschen an die Stadtpolitik befragt werden. Auf den ersten Plätzen rangiert die Hoffnung auf einen guten öffentlichen Nahverkehr, auf eine funktionierende soziale Infrastruktur vom Kindergarten bis zur Grünfläche, auf ein qualifiziertes (Aus)Bildungsangebot und –wenn’s geht – auf billigen Wohnraum. Kurz: Sie wollen die soziale Stadt. Das ist manchmal schwerer zu realisieren. Denn wenn die kreativen Pioniere einen Stadtteil aufgewertet haben, folgen ihnen in der Regel gut verdienende Interessenten und treiben die Mieten hoch. Vor 30 Jahren wurde dieser Prozess als Gentrification beschrieben – das Ergebnis ist heute in Nippes oder der Südstadt zu besichtigen. Damals begann die Stadt auch, sogenannte „Technologie-Zentren“ auf altindustriellen Arealen zu fördern. Sie lagen eher am Stadtrand und häufig in wenig attraktivem Umfeld. Hier hat sich die Strategie verändert. „Kreativzentren“ werden heute mitten in den Stadtteil platziert. Und manchmal in Konkurrenz zu existierenden Szenen wie in Ehrenfeld, wo ein „design quartier ehrenfeld“ der längst real existierenden „Design Szene Ehrenfeld“ aufhelfen soll.
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