Es sind diffuse Signale in alle Richtungen. Nacheinander werden zwei Gutachten bestellt, scheinbar ohne die Einwilligung der zuständigen Gremien, und das härter urteilende wird erst einmal zurückgehalten. Kardinal Woelki wird wegen Fehlern im Umgang mit einem Missbrauchsfall zunächst belastet, dann entlastet und schließlich in eine Auszeit geschickt. Ein Bußgottesdienst wird angesetzt, aber hinter verschlossenen Türen. Das Hin und Her der katholischen Kirche bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals im Erzbistum Köln gleicht einem Versuch, im Zickzack-Lauf den Kugeln auszuweichen. Dabei ist es mitunter genau dieses Vorgehen, das immer wieder Empörung hervorruft. Denn wie die Strategie aussieht, um den eigenen Verfehlungen zu begegnen, war in Köln bislang trotz horrender Zahlungen an Berater einfach nicht ersichtlich. Völlige Intransparenz und vorsichtige Aufarbeitungsbemühungen lösten einander ab, während die Institution selbst wie gewohnt so durchschaubar wirkte wie die Mauern eines romanischen Gotteshauses.
Mitten in dieses Geschehen trat vor Kurzem Weihbischof Rolf Steinhäuser als Vertreter des Kardinals, der nun Klarheit schaffen soll, obwohl er sich noch gar nicht in der neuen Rolle zurecht gefunden hat. Dafür spricht er wenigstens – ganz ungewohnt für einen geistlichen Würdenträger in seiner Lage – harte Worte aus, die lange überfällig sind, und nennt das Bistum unter anderem eine „Täterorganisation“. In der oft kryptischen und verschwiegenen katholischen Kirche kommt das einem Paukenschlag gleich – und holt den Reformprozess in Köln endlich auf den Boden der Tatsachen. Auch intern hat Steinhäuser durch seinen Mut zur Offenheit erste Erfolge zu verzeichnen: Vertreter des Diözesanpastoralrats – der nicht mehr mit Kardinal Rainer Maria Woelki kooperieren wollte – zeigten sich zufrieden über die Zusammenarbeit, und leise Hoffnung auf strukturelle Verbesserungen im Bistum ist wieder möglich. Zudem steht jetzt eine neue Zahl im Raum: 6 Millionen Euro sollen noch für Entschädigungszahlungen an die Betroffenen bereitgestellt werden, deutlich mehr als zuvor.
Ob sich aber dauerhaft positive Entwicklungen im Erzbistum einstellen werden, bleibt fraglich. Schon bald muss Steinhäuser seine Einschätzung der Lage nach Rom melden, die dem Papst in der Frage dienen soll, wie nach Woelkis Rückkehr ab März zu verfahren ist. Sollte diese ein stark negatives Echo etwa unter den Gläubigen hervorrufen, könnte sich der Pontifex zwar dazu entschließen, den in die Kritik geratenen Kardinal doch noch von seinen Aufgaben als Erzbischof von Köln und Metropolit der Kirchenprovinz zu entbinden. Besonders wahrscheinlich ist dies aber nicht, sprach ja der Papst selbst Woelki vor einiger Zeit von fast allen Vorwürfen frei. Dass er jetzt noch wegen der möglicherweise rechtswidrig beauftragten Gutachten seinen Platz räumen muss, scheint nicht in Sicht. Dabei wäre der Führungswechsel schlicht ein notwendiges Zeichen der Erneuerung – und vielleicht ein Anfang vom Ende des Zickzack-Kurses.
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