Unsere Welt hängt an vielerlei Drähten. Selbst kabellos werden wir ständig beobachtet, der bösen NSA sei Dank – damit wir auch ja nichts falsch machen. Auch Frank Stiller hat dieses Gefühl. Er wird gerade zum Direktor des Instituts für Kybernetik und Zukunftsforschung, weil sich Professor Henri Vollmer das Leben genommen hat. Warum weiß niemand. Sicherheitschef Lause will Stiller noch warnen, doch er verschwindet spurlos, wie Stillers Glaube an die Welt, in der er lebt.
„Welt am Draht“, Rainer Werner Fassbinders TV-Zweiteiler von 1973 hat die zeitgenössischen Bühnen längst erreicht, auch wegen der damals schon zeitlosen Vorlage „Simulacron-3“ von Daniel F. Galouye, dessen Gedankenspiele auch Hollywood-Blockbuster wie „Matrix“ (1999) oder marginal „Total Recall“ (1990) beeinflussten. Jetzt also wieder Computersimulations-Showtime in Bonn. Die Welt am Draht in der Halle Beuel, Inszenierung Mirja Biel und Joerg Zboralski, Bonner Hausregisseure mit Hang zur Schnittstelle zwischen Schauspiel und Performance. Also fettes Bühnenbild mit symmetrischen Videoflächen, Swimmingpool und Oldtimer. Und Original-Telefonzelle. Eigentlich müsste die ja blau sein, denke ich noch beim Einlass und erinnere mich an Dr. Who‘s Zeitmaschine. Doch damit liege ich wohl weit über dem möglichen Zitatenschatz einer Inszenierung, die sich die nächsten eineinhalb Stunden zäh über die Zeit rettet, wohl Fassbinders Filmarbeit adaptiert, eigene Szenen setzt und dazu verschwommene Bilder produziert und IBM.
Das alles ist nett in pseudodesignter Umgebung, mit zischenden Glastüren und schröcklichen Modezitaten aus den 70ern. Mit der Thematik, ob die im Supercomputer programmierten „Identitätseinheiten“, die diese virtuelle Realität bevölkern, eigene Handlungsoptionen oder gar Rechte haben, wie man Bewusstsein definiert und ob man sie je nach Bedarf ausschalten darf, hat das wenig zu tun; auch der von Fassbinder implementierte Tatort-Kriminalfall, der erst durch eine Zeitungsseite gelöst wird, kommt irgendwie nicht in die Gänge. Szene folgt Szene, Videofetzen auf Videofetzen, eine lapidare Choreografie kontrastiert das klinische Ambiente; selbst als Groteske kommt das Spiel nicht auf Touren, die eigentlich spannende Handlung nicht in Konflikte, irgendwie hat das Regieteam nichts zu sagen, dafür aber viel aufwändig Bühnenbild und dann noch ein herumhampelnder Grimassenschneider. Danke auch. We’re lost in music.
Frank Stiller malt derweil „Cogit ergo sum“ (Ich denke, also bin ich) auf den Parkplatz vor dem Institut. Längst hat er die Realität durchschaut, ahnt, selbst ein Versuchskaninchen zu sein. Doch auch diese Erkenntnis strömt wie alles andere irgendwie am Zuschauer vorbei, etwas Plantschen im Pool, etwas Sex auf dem Video, nun ja. Auch Vollmers Witwe Eva bleibt blass, obwohl sie die Drahtzieherin ist und Stillers Geliebte sein soll. Als alle Drähte reißen, geht alles sehr fix. Eva erschießt Frank, doch nur zu seinem Besten: So gelangt er in die Dimension darüber. Sie hat sich ihn ausgesucht, weil er ihrem Mann dort sehr ähnlich, aber mit besserem Wesen ausgestattet sein soll.She feels love.Alle haben fertig. Und ich hoffte tatsächlich auf „Time and Relative Dimensions in Space“.
„Welt am Draht“ | Do 3.4. 19.30 | Theater Bonn, Halle Beuel | 0228 50 20 10
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