Narzissmus oder intellektueller Ausverkauf? Der Universitätsprofessor Francois steht vor einem knatschroten Bücherregalwand (Ausstattung: Thomas Garvie), die nur ein einziges Buch enthält, seine eigene Dissertation. Er hat die große Leere im Rücken und plaudert nonchalant mit dem Publikum: Über seine Arbeit als Professor, seine zweisemestrigen Liebesverhältnisse zu Studentinnen, Burka-Trägerinnen an der Uni und Präsidentschafts-Wahlen in Frankreich.
Marc Fischer tastet sich etwas mühsam in die Hauptfigur von Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“. Der Text hat eher den Schauspieler im Griff als umgekehrt. Dieser Francois gibt sich die Attitüde des abgeklärten Intellektuellen, der sich an seinem Schmalspur-Machismus und seinem ausgezehrtem Wertesystem allerdings nicht einmal selbst erfreut. Ein freudloser Narziss. Er räumt die Regale im Lauf des Abends fortwährend um, stapelt sie mal wie Särge, verkantet sie zu Eismeer-Schollen, legt sich oben drauf – Sisyphus-Arbeit des Intellektuellen im Ikea-Land. Die Inszenierung von Heinz Simon Keller weiß nicht so recht, was sie mit der Figur anfangen soll. Wie so viele Interpretationen derzeit auf den deutschen Bühnen nimmt sie Francois zu ernst und doch nicht ernst genug. Das Theater erliegt dem vorhersehbar-provokativen Kitzel einer Figur, die zwischen der Beschreibung vom Sexszenen und der französischen Präsidentschaft eines Muslims seine Gleichgültigkeit zelebriert. Marc Fischer lässt zwar Sarkasmus anklingen, wenn über Weinsorten zum Wahlabend philosophiert, zeigt Begeisterung über zwei Frauen vom Escort-Service oder stürzt sich sogar in Emphase, wenn er die Begegnung mit einem Geheimdienstmitarbeiter schildert. Schließlich rollt Josef Tratnik als sonnenbebrillter, leicht mafiöser Universitätsdirektor Rediger im Rollstuhl herein und beschreibt seine Konversion von der identitären Bewegung zum Islam mit einem vorausschauenden Opportunismus.
Am Ende mangelt es der wohltemperierten Vollstreckung einer epischen Vorlage an einer klaren Haltung, dem inszenatorischen Surplus, das aus dem Stoff eben doch mehr als Literaturtheater macht.
„Unterwerfung“ | R: Heinz Simon Keller | 19., 22., 28., 31.10. 20 Uhr | Theater der Keller | 0221 31 80 59
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24
Biografie eines Geistes
„Angriffe auf Anne“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 11/24
Bis der Himmel fällt
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24
Der Witz und das Unheimliche
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Prolog 08/24
Schöpfung ohne Schöpfer
Max Fischs Erzählung „Der Mensch erscheint im Holozän“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 05/24
„Wir wissen nicht viel über das Universum“
Ronny Miersch inszeniert „Der Mensch erscheint im Holozän“ am TdK – Premiere 04/24
Einstürzende Bergwelten
„Monte Rosa“ am Theater der Keller – Prolog 02/24
Schleudergang der Pubertät
„Frühlings Erwachen: Baby, I‘m burning“ am Theater der Keller – Auftritt 11/23
Komik der Apokalypse
„Die Matrix“ im Theater der Keller – Theater am Rhein 10/23
Sonnenstürme der Kellerkinder
1. Ausbildungsjahr der Rheinkompanie – Theater am Rhein 08/23
„Die starke Kraft der Träume anzapfen“
Intendant Heinz Simon Keller über „Die Matrix“ am Theater der Keller – Premiere 08/23
Das digitale Paradies
Ensemble 2030 im Theater der Keller – Theater am Rhein 07/23
Im Land der Täter
„Fremd“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 12/24
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24
Der Untergang
„Liquid“ von Wehr51 – Theater am Rhein 07/24
Gefährlicher Nonsens
Kabarettist Uli Masuth mit „Lügen und andere Wahrheiten“ in Köln – Theater am Rhein 07/24
Den Schmerz besiegen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn – Theater am Rhein 07/24
Alles über Füchse
„Foxx“ in den Ehrenfeldstudios – Theater am Rhein 07/24
Vergessene Frauen
„Heureka!“ am Casamax Theater – Theater am Rhein 06/24
Freiheitskampf
„Edelweißpiraten“ in der TF – Theater am Rhein 06/24
Menschliche Eitelkeit
„Ein Sommernachtstraum“ in Köln – Theater am Rhein 06/24