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Dreharbeiten zu „Germany Year 2071“ am Rheinauhafen
Foto: Marielena Wolff

Fachgerecht zerstückelt

27. Juni 2016

Dreharbeiten von „Germany Year 2071“ zum Finale der PLURIVERSALE IV im Rheinauhafen – Spezial 06/16

„Nicht die beste, aber die freundlichste Theatertruppe wollen wir sein“, sagt Pavol Liska, rumänischer Regisseur vom Nature Theatre of Oklahoma. In Koproduktion mit dem Impulse Theater Festival 2016 und den Berliner Festspielen/ Foreign Affairs dreht das Nature Theater of Oklahoma „Germany Year 2071“, einen trashig anmutenden Retro-Science-Fiction-Streifen im Godard-Look. Das Nature Theatre of Oklahoma besteht aus Pavol Liska und der New Yorkerin Kelly Copper. Die Arbeiten des Künstlerpaares sind für eine radikale Publikumsbeteiligung bekannt. Auch diesmal kann jeder mitmachen, dem die Story nicht zu schräg ist. An diesem von dunklen Gewitterfronten bedrohten Kölner Sommertag mischen sich nackte Schauspieler unter die überraschten Läufer des Kölner Altstadtlaufs, da die Strecke den Schauplatz der Dreharbeiten kreuzt.

Kathrin Sieg, die eine Sprechrolle hat, erzählt, dass sie auch nach mehrfachem Lesen einfach keinen Sinn erkennen kann. Es sei ihr zu utopisch und zu futuristisch. Gänzlich unverständlich ist die Story von Dorothy und Joseph, die sich in einer Welt befinden, in der Gefühle durch Emojis ersetzt werden und das Fleisch von Aliens konsumiert wird, aber nicht. Es geht um Revolution. „Schon die dritte in dieser Woche!“ spricht Kathrin Sieg ihren Text. An die 100 Schauspieler wurden für die größte Szene versammelt.

„Es geht um Spaß und das Benutzen von crazy spaces“, erzählt Alec Krichton, vom Kunstsender „Souvenirs from earth“. Der Ansatz besteht darin, sich auf alle Widrigkeiten der Realität einzulassen. So verläuft sich die Laien-Hauptdarstellerin Sorin Pascu aus Versehen im offenen Krankenhauskittel im Hafengelände und wird von der Polizei, die den sonst so ordentlichen Rheinauhafen bewacht, zum Kunsthaus Rhenania gebracht. Dies war so nicht geplant. Sorin wirkt so überzeugend in ihrem Kostüm, dass man ihr nicht glaubt, dass sie eine Künstlerin ist. Für sie erfüllt sich mit dieser Rolle ein Wunschtraum, denn seit dem Schultheater konnte sie ihrer Schauspiellust nicht mehr nachgehen. Jetzt möchte sie damit sogar weitermachen.

Nadine Vollmer, Dramaturgin vom Impluse Theater Festival, findet es spannend, dass das Projekt an Fehlern interessiert ist. Keine saubere Blackbox, sondern reale Orte werden bespielt. Mit Menschen, die dann auch mal ein „No-Go“ bringen und verwirrt und direkt in die Kamera gucken. Der Ton wurde zuvor beim WDR eingesprochen, so dass beim Dreh nicht auf Umweltgeräusche geachtet werden muss. Alleine das Rückwärtslaufen erfordert Konzentration, denn alles wird reverse gedreht. Und so müssen sich die Darsteller beim Dreh im Hallmackenreuther in ein umgekehrtes Tanzverhalten hineindenken. „Gut für das Gehirn“, ergänzt Nadine Vollmer.

Grundlage des Stücks ist ein 16 Stunden langes Telefongespräch, welches auf der Aufforderung basiert: „Erzähl mir dein Leben!“. Dieses wurde vom Nature Theatre of Oklahoma zu einem 50er-Jahre-Musical, einem 80er Jahre Disko-Streifen und einem Agatha-Christie-Krimi zerstückelt. Fachmännisch zerlegt wird am Ende des Drehs auch der Karnevalswagen, der einen großen, feuerroten Teufelskopf trägt, der im mandarinfarbenen Abendlicht leuchtend die letzte Szene aufmischt. Er repräsentierte das Sumpfmonster, durch das ein cleverer Geschäftsmann die Bevölkerung terrorisierte. Ob am Ende Aliens, Menschen oder Monster  gewinnen, wird man nächstes Jahr während des Impulse Theater Festivals 2017 in Köln sehen können.

Der erfolgreiche und vom Wetter gesegnete Drehtag wird zu den Beats der FOKN Bois aus Ghana gefeiert, gemeinsam mit dem Abschluss der PLURIVERSALE IV der Akademie der Künste der Welt. Wanlov the Kubolor und M3nsa rappen ihren politischen Humor auf Dub und Techno gemischt mit traditionellen afrikanischen Sounds. Niemand bleibt verschont, wenn sie Jesus auferstehen lassen und von extremistischen Blowjobs in „Sexin´ Islamic girls“ singen. In ihrer musikalischen Satire Serie „Gospel Porn Christian Rap“ schießen sie mit ihren Lyrics auf Christen, Fundamentalisten, Muslime, Amerikaner, Rastafaris, Chinesen und Weiße und sagen: „Thank God we´re not Nigerians“. Ihr Sound brachte die Gäste schnell zum Mitwippen. Im Anschluss übernahmen die Resident Djs des King Georg das Fest und ließen die Gäste bis in den Morgen tanzen.

Wer noch an „Germany Year 2071“ mitwirken will, kann dies vom 15. - 17. Juli in Berlin tun.

Marielena Wolff

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