Für alle, die die die geschmeidigen Grooves und exorbitanten Hits à la Howie, Brian, Nick & Co. schon lange schmerzhaft vermissten oder heimlich den schmalzigen Beats von NSYNC aus ihrer Jugend hinterher trauern, geht ein Traum in Erfüllung. Denn eines ist sicher: Backstreet's back und überhaupt alle sind back. Nur in Form von Girls. Wie das funktioniert, zeigte der „She’s the Man“-Boygroup-Battle im Rahmen des Britney X Festivals. Britney X, das seine Premiere am Kölner Schauspiel feierte, klingt ein bisschen wie Britney Spears – nach Kitsch, nach klaren Mädchen-Rollen mit pinkem Lippenstift. Gott sei Dank ist es jedoch ironisch gemeint: Der Boygroup-Workshop mit dem Namen „She’s The Man“ ist Gender-Dekonstruktion vom Feinsten.
Medienpädagogin und Sozialarbeiterin Stephanie Weber, die sich mit dem Thema „Gender als Performance“ befasst und bereits seit sieben Jahren experimentelle Workshops dieser Art durchführt, hinterfragt dabei ironisch Geschlechterklischees, indem sie diese sukzessive abbaut. „Drag King“-Workshop nennt sie jenen, bei welchem sich Frauen in Männerrollen hineineindenken und mit Stereotypen spielen. „Drag Kings weisen auch auf soziale Missstände hin“, sagt Weber. „Auf Privilegien und Vorurteile.“ Eine im Raum stehende Tafel mit dem Schriftzug „Fünf Schritte zur Männlichkeit: 1) Laufen 2) Hinsetzen 3) Aufstehen 4) Trinken :) 5) Flirten“ soll zum Erfolg, Mann zu werden, beitragen. Die Ironie in der Ironie: Dank ein wenig Schminke, ein paar angeklebter Bärte, vom Schauspiel Köln gestellter Klamotten und ein paar einstudierter Gesten werden aus acht Power-Frauen im null Komma nichts – genauer gesagt, binnen dreieinhalb Stunden – acht Boygroupler.
Und was für Prachtexemplare. Gleich zu Beginn macht Weber die Teilnehmerinnen auf Stereotypen in puncto Gesten aufmerksam. Wenn eine Frau dem Klischee entsprechend „typisch weiblich“ mit überkreuzten Beinen schüchtern in der Ecke hocke, werde sie ganz anders wahrgenommen, als wenn sie angeblich „wie ein Mann“ mit stolzem fiktivem männlichem Geschlecht in der Hose protzig durch den Raum marschiere. Die Reaktionen in der Öffentlichkeit seien dann ganz andere, weiß sie aus eigener Erfahrung.
Beim anschließenden Studieren diverser Videos wird viel gelacht. Weber knallt den angehenden Boys ein paar Hits, die es in sich haben, um die Ohren, wie etwa „I Want It That Way“ von den Backstreet Boys. „Boygroups sind immer sexualisiert“, erklärt Weber. „Einer ist dabei immer der wilde Womanizer, ein anderer der emotionale Weichling. Diese Performances laufen nach ganz bestimmten Standards und Klischees ab, und diese gilt es, kritisch zu hinterfragen.“ Nach kurzer Diskussion und Gelächter steht die Entscheidung fest: Eine Gruppe wird die fulminanten Backstreet Boys inszenieren, die andere in die Rolle von NSYNC schlüpfen. Bisweilen erinnert der hier stattfindende Battle an einen „Germany's Next Top Model“-Contest: Fast vermisst man Heidi Klums Satz: „Mensch, Meeedchen – ihr müsst laufen üben!“ Nur, dass solche Ähnlichkeiten gezielt und ironisch sind, und dass die Teilnehmer am Ende eben keine Meeedchen mehr, sondern Boygroup-Stars sind. Hier hätte Heidi sicherlich ihr blaues Wunder erlebt.
Die Reaktionen während der Transformation durch Schminke, Fake-Bärte und anti-erotische Kostüme sind interessant: Auch hier wird ob der Ergebnisse viel gelacht. Gleichzeitig ist es erstaunlich zu beobachten, wie nur durch ein paar kleine feine Veränderungen ganz andere Personen entstehen. Die Frage, die durch den Raum wandert, lautet: Ist das, was wir täglich als „normale“ Geschlechter wahrnehmen, tatsächlich nur Konstruktion? Können wir uns einen doofen Bart ankleben, und alles ist gleich anders? Das Schöne an diesem Workshop ist, dass hier nicht langweilig via Overhead-Projektor über Gender debattiert wird, sondern real und experimentell. Lacher inklusive. Nach einem Lauftraining, einem Lip-Sync-Battle und einer Performance, bei der die neu geborenen Backstreet Boys gegen die wiederbelebten NSYNCs antreten, wird abgestimmt. The winner is: NSYNC. „I Want You Back“ ist Realität geworden. Für die anderen gäbe es aus Heidis Sicht jetzt leider kein Foto, aber das ist hier eher nebensächlich. Die Hauptsache ist: Frau war mal Boygroup-Mitglied. Wenn auch nur für einen Tag.
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