Montag, 28. Oktober: Im Rahmen des 19. Festivals für Filmschnitt und Montagekunst, Filmplus 2019, erhält am Abend die Editorin Heidi Handorf den Ehrenpreis Schnitt. Den Ehrenpreisträgern wird jeweils während der vier Festivaltage auch eine Hommage gewidmet, die von Werner Busch kuratiert wird, und bei der Schlüsselwerke der Ausgezeichneten noch einmal im Kino zur Aufführung gelangen. Im Anschluss spricht Busch mit den Editorinnen in einem Werkstattgespräch, bei dem auch auf die Fragen und Anmerkungen des Publikums eingegangen wird. Am Morgen der diesjährigen Preisverleihung war Heidi Handorf im OFF Broadway im Studentenviertel zu Gast, um gemeinsam mit der damaligen Hauptdarstellerin Marita Breuer in Erinnerungen an die Herstellung der legendären Fernsehserie „Heimat“ von Edgar Reitz zu schwelgen. Handorfs erster Kommentar nach der neuerlichen Sichtung, 35 Jahre nach Entstehen der Serie, fiel ernüchternd aus: „Mindestens eine Viertelstunde würde ich da heute noch rausschneiden. Das war mir alles zu langsam, die erste und die letzte Folge von ‚Heimat‘ sind nicht meine Lieblingsfolgen.“ Da Reitz an der Serie überwiegend mit Laiendarstellern gearbeitet habe, hätte alles länger gedauert als gewöhnlich, was sich nun auch am Erzählfluss dieser ersten Folge bemerkbar mache.
Marita Breuer, die Darstellerin der Maria, ging nachsichtiger mit der Folge „Fernweh“ um. Sie sagte in Köln: „Ich bin immer wieder erstaunt, wie witzig die Serie ist. Sie steckt voll poetischem Humor und kindlichem Witz, den ich sehr anrührend finde.“ Rund anderthalb Jahre haben damals die Dreharbeiten an der elfteiligen Fernsehserie gedauert, die beide Damen in sehr angenehmer Erinnerung haben. Der Wechsel zwischen Schwarz-Weiß- und Farbaufnahmen sei durchaus einem Farbkonzept gefolgt, so Heidi Handorf. Dennoch sei mitunter spontan an Ort und Stelle darüber entschieden worden, mitunter auch mal willkürlich. Prinzipiell sei es Edgar Reitz aber wichtig gewesen, besondere Lichtstimmungen in Farbe hervorzuheben, erläuterte dessen Editorin weiter. Dass die Darsteller im Film hunsrückischen Dialekt sprechen, hat Handorf sehr gefallen. „Wir hatten früher in der Schule Dialektunterricht, das war wunderbar. Das sollte auch heute noch gelehrt werden.“ Für Marita Breuer gestaltete sich das zunächst als schwierig, weil sie sich den Dialekt eigens für die Dreharbeiten aneignen musste. Während des Drehs erhielt sie von einer Frau im Dorf Unterricht darin. „Humor, Eigenart und Emotionen stecken für mich nur im Dialekt. Menschen, die nur mit Hochdeutsch aufgewachsen sind, denen fehlt etwas“, kommentierte Breuer weiter.
Kameramann des Films war Gernot Roll, der in diesem Jahr in der Spielfilm-Jury über die Preisträger bei Filmplus 2019 mitentscheidet. Die Zusammenarbeit mit ihm sei laut Heidi Handorf exzellent gewesen, da er „beim Drehen schon an den Schnitt gedacht“ habe. Breuer ergänzte, dass sich Roll mit Hingabe auch um Kleinigkeiten gekümmert und diese zur Chefsache gemacht habe. Nachdem die Serie gedreht und geschnitten war, habe sich Produzent Bernd Eichinger dafür eingesetzt, dass „Heimat“ auch in die Kinos kam. Er spendierte eine Kinokopie, damit Reitz‘ Schlüsselwerk eine größere bundesrepublikanische Aufmerksamkeit zuteilwurde – bestand im Gegenzug aber auf dem Titel, den die Serie letztendlich auch bekam. Damit waren Arbeitstitel wie „Made in Germany“ oder der von Marita Breuer favorisierte „Geheischnis“ aus dem Rennen. Geheischnis ist ein Wort aus dem Hunsrückischen, das man nicht eins zu eins übersetzen kann, und das für Vertrauen, Geborgenheit und menschliche Wärme steht. Vor vier Jahren war „Heimat“ aufwändig digital restauriert worden, auch im OFF Broadway kam nun diese Version zum Einsatz, bei der das Format vom seinerzeit üblichen Fernsehstandardformat 4:3 auf 16:9 angepasst wurde. Heidi Handorf kann mit dieser Veränderung gut leben, sie vermisste nichts am von ihr geschnittenen Bild. „Ich freue mich sehr über ein sauberes, makelloses Bild. Und ich finde, das Widescreen-Format schmeichelt dem Film mehr.“ Am Abend erhält Handorf nun zusammen mit den Gewinnern in den Kategorien Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilm den Schnittpreis 2019.
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