„Der Strukturwandel in Mülheim ist zugleich abgeschlossen, zu bewältigen und noch nicht eingetroffen“, konstatiert Mareike Boller in ihrer 2012 erscheinenden Masterarbeit über die Quartiers-Entwicklungen in Mülheim und Ehrenfeld.Seit über 30 Jahren gilt der größte Kölner Stadtteil Mülheim als Gebiet mit städtebaulichenund sozialen Defizitenund war seitdem Handlungsgebietin mehreren Programmen des Landes und Bundes. Mit welchem Erfolg? Die Arbeitslosenzahlen steigen stetig, Bildungsdefizite und sozial schwache Familienstrukturen blieben davon bislang weitgehend unberührt – ändert sich das durch „MÜLHEIM 2020“?
Eine „historische Chance“ nennen die Befürworter und handelnden Akteure aus Politik und Verwaltung das neue Strukturförderprogramm. Es klingt in der Tat vielversprechend, das kommunale Modellvorhaben, das es so noch nie gegeben hat, und das es nach 2014, wenn die Fördermittelvergabe beendet ist, wohl nie wieder geben wird:Mit 40 Millionen Euro aus EU, Land und Kommune und rund 40 Projekten will man dem Stadtteil durch ineinandergreifende – „integrierte“ – Maßnahmen strukturell und sozial auf die Beine helfen.
Beschwörungsformeln?
Für manche Mülheimer klingt dies mitunter nach Beschwörungsformeln, die keiner versteht, gleichzeitig weckt ein so gepriesenes Programm aber auch persönliche Begehrlichkeiten. Diese purzeln seit 2008 munter durch das Veedel. Das Vertrauen der engagierten Mülheimer Bürger ist gering, dass MÜLHEIM 2020 in die richtigen Kanäle fließt. Zu schwer wiegt der Eindruck, dass die Stadtverwaltung ihre Hausaufgaben nicht ordentlich gemacht hat. Trotz freundlicher Verwaltungsbeamter, dem Stadtteil zugewandter Stadtplaner und einem unermüdlichen Bürgermeister. Gelder flossen nicht pünktlich, und Transparenz hinsichtlich der EU-Antrags-Modalitäten fehlte. Denn die Stadt Köln hat tatsächlich ein personelles Problem: Für die Verwaltung der zusätzlichen Projekte ist die Stadtverwaltung – im Sinne der EU-Richtlinien – gar nicht geschult. Mülheims Bürgermeister, Norbert Fuchs, spricht von handwerklichen Fehlern, Brigitte Göttgens, die Leiterin des Amtes für Stadtentwicklung und Statistik, beschreibt die Antragsstellung und Umsetzung als „komplexen Prozess“ und bekundet gleichzeitig Verständnis für den Unmut der Bürger. Leider kommt dieses Verständnis beim Bürger nicht an. Statt zu informieren, wird verklausuliert oder ganz geschwiegen. Kein Wunder, dass der Umgang mit „Mülheim-Themen“ als lieblos beklagt wird. Dass Mülheims drängendste Themen von Bürgerseite sehr unterschiedlich gewichtet werden, versteht sich von selbst und macht die Sache nicht einfacher. Doch bei den MÜLHEIM 2020-Kritikern handelt es sich längst nicht mehr nur um diejenigen, die aus Prinzip gegen alles sind und sich auf jeder Anwohnerveranstaltung dieser Stadt finden.
Initiativen von unten
Mülheim hat sich schon vor der Bewilligung des Förderprogramms selbst auf den Weg gemacht, ohne Stadtplaner und Politik – von innen heraus, bewegt von den Menschen, die beschlossen haben, dort zu leben und zu investieren. Nachdem sich das Schanzenviertel schon vor längerer Zeit durch das Engagement privater Investoren etabliert hat, siedeln sich immer mehr Kleinunternehmer in Mülheim an. Neue Restaurants und Geschäfte eröffnen, ein anderes Publikum wächst. Eine gesellschaftliche Durchmischung, die einem sozial schwächeren Stadtteil wie Mülheim gut tut, schreitet voran.
Gerade unter den aktiven Strukturwandlern vor Ort – Gastronomen, Einzelhändlern aller Art, Kunst- und Kulturschaffenden – ist der Frust über mangelndes Interesse und fehlende Unterstützung auf Seiten der Stadt spürbar. Warum ist nichts unbürokratisch aus dem 40 Millionen Euro-Topf für Projekte vorgesehen, die versuchen, eine andere, wichtige Klientel für diesen Stadtteil zu begeistern? Das nötig ist, damit sich attraktivere Läden mit investitionswilligen Unternehmern ansiedeln und bleiben. Und wenn Geldmittel dafür nicht zur Verfügung stehen, dann wären Wertschätzung und Anerkennung des Kleinen, das zum großen Ganzen wachsen kann, durch Präsenz und verwaltungstechnische Schützenhilfe doch sehr förderlich.
Die Ziele, aber auch Grenzen des Programms sind in ihrer Fülle tatsächlich wenig greifbar, wohl auch, weil integrierte Handlungskonzepte komplexerer Natur sind. Doch hat der Bürger hier eine Holschuld, oder stehen die kommunale Verwaltung und Politik nicht vielmehr in der kommunikativen Bringschuld? Wäre stattdessen nicht eine frühzeitige, flächendeckende und allgemeinverständliche Vermittlung durch transparente Kommunikation hilfreich gewesen, um die Rückendeckung der Bevölkerung für den langwierigen Umbauprozess Mülheims zu erhalten?„Für solche Prozesse gibt es Projektmanager, die alle Informationen bündeln und zum richtigen Zeitpunkt zielgenau kommunizieren.“
Die Bedeutung eines Strukturförderprogramms wie MÜLHEIM 2020 für die soziale und wirtschaftliche Weichenstellung von Mülheim ist unstrittig. Gut zwei Jahre vor dem Ende dieses Programms stellt sich jedoch die Frage, wie erfolgversprechend Strukturwandel von oben – ohne echten Kontakt zum Stadtteil und seinen Akteuren – geplant werden kann. MÜLHEIM 2020 bedeutet zwar Chancen, vor allem aber wohl Abschiede: von dem Anspruch, alle brennenden Probleme lösen zu wollen, und von dem Wunsch, dass für Strukturwandel eingesetzte Fördermittel alle glücklich machen.
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