Donnerstag, der 23. November: Der deutsche Kurzfilmpreis wandert. Wie die prämierten Kurzfilme, die sich nach der Verleihung auf eine Kinoreise durch das Land aufmachen, ist auch die Austragung der Preisverleihung durch die Bundesregierung unterwegs in den Städten der Filmhochschulen. „Jetzt ist mal wieder Köln dran“, stellte der stellvertretende Rektor der Kunsthochschule für Medien, Frank Döhmann, am Donnerstagabend auf der Bühne des Cinenova fest. Dass die KHM die Ausrichtung gemeinsam mit der Internationalen Filmschule (ifs) organisieren sollte, sei dann aber ein Wermutstropfen gewesen. Die ironische Spitze gilt Simone Stewens, der Leiterin der ifs, die wohl für einen anderen Ansatz steht, wie man Filme macht und das Filmemachen lehrt. Hier die freie, projektbasierte Kunsthochschule, da die eher berufs- (und industrie-)nahe Ausbildungsstätte. Bei aller Konkurrenz: Beide Hochschulen in einer Stadt zu haben, ist aller Ehren wert.
Was die Preise des Abends angeht, sollte die KHM das interne Duell gewinnen. Das war schon im Vorfeld klar, gab es doch nur einen Nominierten aus NRW: Florian Kunert, der an der KHM ein Postgraduiertenstudium absolviert, mit seinem 27-minütigen dokumentarischen Film „Oh Brother Octopus“. Auch wenn schon die Nominierung eine große Ehre (und zudem ein ordentliches Preisgeld von 15000 Euro) bedeutet, ist sein Erfolg in der Kategorie Dokumentarischer Kurzfilm von 10-30 Minuten Länge ein ganz besonderer. Nicht nur gehört er als Gewinner nun automatisch – eine Neuerung seit diesem Jahr – zu den deutschen Kandidaten um den Studentenoscar. Auch das verdoppelte Preisgeld wird er wohl gut gebrauchen können. Nicht für seinen Abschlussfilm an der Kunsthochschule, denn der ist bereits in der Schnittphase: „Im Tal der Ahnungslosen“ hinterfragt die Reaktionen in seiner sächsischen Heimat auf die Flüchtlingskrise. Für ein nächstes Projekt soll der Preis dann aber eine längere und aufwändigere Recherche ermöglichen.
Dass sich Kunert bei der Jury auch für den Mut bedankte, seine Art des Filmemachens zu belohnen, kommt nicht von ungefähr. Der in Indonesien gedrehte Film begleitet zwei einheimische Taucher, die Oktopusse jagen. Der Oktopus wird aber auch als ein heiliges Tier der indonesischen Seenomaden vorgestellt. So stehen (mythische) Vergangenheit und (kapitalistische) Gegenwart im Film nebeneinander. Obwohl Sujet und Schauplatz des Films weit entfernt sind von unserem Alltag, belässt es Kunert bei kommentarlosen Beobachtungen. Die kunstvolle Inszenierung und Montage lassen dem Zuschauer viel Raum für eigene Reflexionen. Ein ganzes Jahr lebte Kunert in Indonesien – nach einem ersten Filmstudium in Kuba. Nach seiner Rückkehr erst begann dann sein KHM-Studium, wo er das Material bearbeitete. „Der Schnitt hat sich über Jahre gezogen.“ Bemerkenswert ist außerdem, dass er auch die Kameraführung selbst übernahm, die nicht nur in einigen Unterwasserszenen beeindruckt.
In den weiteren Kategorien Animationsfilm und Experimentalfilm haben in Köln jeweils die deutlich längeren, aber auch die politischeren Kandidaten die Preise mitgenommen. Die aus Hamburg stammende Künstlerin Mariola Brillowska nutzt als Material ihres Films „Schwarze Welle“ eine Art Hörspiel, das ihre Tochter im Alter von 8 Jahren aufgenommen hat. Spürbar beeinflusst von der Flüchtlingskrise, handelt die Geschichte von einem schiffbrüchigen Afrikaner, der eine Art Meerjungfrau („Frau Ausweis“) auf hoher See trifft und um Hilfe bittet. Die gezeichneten Animationen ergänzen die kindliche Erfindungslust und machen den ursprünglichen „Spaß“ (so die Mutter) zu einer politischen Fabel.
In „Landstrich“ erzählt Regisseurin Juliane Ebner ihre deutsche Familiengeschichte vom zweiten Weltkrieg, Kriegsgefangenschaft und Besatzung, Staatenteilung und Mauerfall. Die persönliche Erzählung verbindet sie mit gezeichneten Bildern, die auf Folien übereinandergelegt und durch Verschieben animiert werden.
Verschoben wird auch im (kurzen) fiktionalen Gewinner „Pix“, allerdings vor allem das Bühnenbild: Hier wird die Inszenierung des Lebens von der Wiege bis zur Bahre in Fotografien vor den Augen der (Film-)Kamera live nachgestellt. Ein lustiger und logistisch aufwändiger Kommentar zum Selfiewahn, von Sophie Linnenbaum. In der Jury-Begründung heißt es, die Regisseurin spiele „augenzwinkernd mit der Sehnsucht, die großen Augenblicke im Lebenszyklus festzuhalten und überzeugt mit unerschöpflichem Ideenreichtum – überraschend, virtuos und originell“.
Der Gewinner des „langen fiktiven Kurzfilms“ (10-30 Minuten) verlässt sich dagegen ganz auf seine Darsteller und ausgefeilten Dialoge. Regisseur Michael Fetter Nathansky erfindet mit „Gabi“ (gespielt von Gisa Flake) im gleichnamigen Film eine gutherzige Fließenlegerin, die durch ihren Azubi Marco plötzlich einen neuen Zugang zu ihren Gefühlen entdeckt. Der spielt mit ihr das Schlussmachen mit seiner Freundin durch und kommt ihr dabei näher als gedacht. Die Jury sah in dem Film ein „perfekt komponiertes Porträt“. Der Sonderpreis ging an Daniel Kötter für „Hashti Teheran“, das ebendort gefilmt wurde. Er vermittle das „Bild einer modernen Metropole, in der Korruption und Kontrolle ebenso zum Alltag gehören, wie der Wunsch nach Gemeinschaft und Geborgenheit“, steht in der Begründung.
Der höchstdotierte Preis für den filmischen Nachwuchs zeigte in Köln (mal wieder) großes erzählerisches Talent und schöpferische Kraft. Da wünscht man sich, dass jungen Filmemachern die Möglichkeit gegeben wird, sich auch in Langfilmen auszuprobieren. Und – wie Moderator Lutz van der Horst bemerkte – dass mal wieder ein anspruchsvoller Dokumentarfilm zur Hauptsendezeit gezeigt werden darf.
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