Am besten nähert man sich assoziativ den drei fotografischen Positionen dieser Ausstellung. Nichts muss man wissen. Man braucht nur genau hinsehen, um selbst ein Gespür für die unterschwelligen Nuancen, letztlich das Außersprachliche zu bekommen, das die fotografischen Werken von Laurenz Berges, Michael Collins und Paola De Pietri kennzeichnet. Mit „Witterungen“ – so der Ausstellungstitel – ist nicht das Wetter gemeint, obwohl es bei allen drei Künstlern eine Rolle spielt. Es geht vielmehr um ein Aufspüren besonderer Situationen und Orte in der ausgiebigen Beobachtung. Bei Laurenz Berges (*1966) ist dies überwiegend das Ruhrgebiet in einer schlichten, im Detail skurrilen Häuslichkeit. Michael Collins (*1961) wendet sich dem Mündungsgebiet der Flüsse Themse und Medway östlich von London zu, und bei Paola De Pietri (*1960) handelt es sich um die norditalienische Ebene des Flusses Po. Jeder der Fotografen hat im Selbstverständlichen, an dem man eigentlich vorbeiläuft, außergewöhnliche Situationen entdeckt. Werkzeug ist jeweils die schwere, aber genaue Plattenkamera. Die Aufnahmen von Laurenz Berges wirken trotzdem ausgesprochen lapidar, sie befinden sich in einer inneren Balance, die das Bild gerade noch so hält. Wie beiläufig wirken die Ausschnitte der kleinen Formate, die in einer Reihe hängen, welche auf eine narrative Erkenntnis schließen lässt – aber so einfach ist es eben doch nicht. Die Bilder spielen bei Tag und bei Nacht, einmal draußen, dann drinnen, die Perspektive wechselt mit jeder Aufnahme. Zu sehen sind an sich belanglose Szenen: Kerzenleuchter etwa; eine Unterführung; ein verschlossenes Tor. Oder eine fluchtende Mauer, hinter der Bäume aufragen, die in ihrer Dichte auf Nacht schließen ließen, wenn nicht helles Licht im Blattwerk aufblitzen würde. Die Situationen verharren zwischen Belanglosigkeit, Ereignislosigkeit und dem Vor oder Danach eines Dramas. Dabei tragen das Fahle ebenso wie die Hinwendung auf das Mauerwerk und auf verlassen wirkende Orte etwas Morbides. Hier gewinnen sie an Bedeutung und Geschichtlichkeit.
Am deutlichsten wird der Charakter der Langzeitstudie bei Paola De Pietri. Sie wendet sich (nacheinander) zwei Sujets in der Landschaft zu, die sie jeweils aus großem Abstand und zentriert, mit niedrigem Horizont und in s/w bei dunstig heller Atmosphäre fokussiert: dem blattlosen Geäst vereinzelter Bäume und verfallenen Gehöften. Für Typologien sind die Formate doch zu groß und ist die landschaftliche Umgebung zu wichtig. Aber sie ist immer gleich: Zu Füßen des Betrachters setzt ein einheitliches Ackerland ein, in dem die Gebäude frei von jeder urbanen Anbindung sind und umso merkwürdiger wirken.
Michael Collins arbeitet mit dem Verhältnis von Fläche und Raum, Abstand und Annäherung. Sein entwurzelter Baum, den er – aufgefunden in Hampstead Heath in London – als s/w-Triptychon in drei verschiedenen bilddominanten Ansichten zeigt, wird durch den Wechsel des Standortes zur skulpturalen Erscheinung. Und er wirkt wie ein vom Meer angespültes totes Lebewesen, das nun dem Blick ausgeliefert ist. Die Aufnahme tastet die Textur des Baumes mit ihren Verletzungen und Rissen, aber auch der panzerartigen Haut minutiös ab: als Zeichen von Vergehen und Verbleiben, das hier voller Respekt verewigt ist.
Den Menschen findet man übrigens bei keinem der drei Fotografen, aber immer sind seine Handlungen und sein Erobern der Umgebung mitgedacht. Aber es sind eben Situationen außerhalb jeder Zeit (auch wenn Indizien für eine Jahreszeit zu erkennen sind), so wie das Sehen selbst äußerst entschleunigt ist. – Die Gefahr wäre ja gewesen, dass die Ausstellungspräsentation dem einzelnen Bild zu viel Gewicht verleiht. Aber das ist nicht der Fall, die lineare Anordnung der Fotografien in gemessenem Abstand ist ausgesprochen pragmatisch, auf Sinnhaftigkeit, Zusammenhang und auf diskrete Verdeutlichung angelegt. Sie macht es wie die Bilder: Sie ist ganz selbstverständlich, höchst ergiebig und zudem einfach schön.
Witterungen – Photographische Aufzeichnungen zwischen Landschaft und Lebenswelt | bis 8.7. | Die Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur | 0221 88 89 53 00
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