Vielleicht liegt es ja am Goldenen Löwen: Seitdem Franz Erhard Walther auf der letztjährigen Biennale Venedig ausgezeichnet wurde, steht er im Rampenlicht der Kunstszene. Unbestritten ist seine Bedeutung als einflussreicher und innovativer Künstler seit den 1960er Jahren, er wurde gleich viermal zur documenta eingeladen und hat in allen wichtigen Museen hierzulande ausgestellt. Und doch blieb er ein „Künstler für Künstler“: ein Star für Insider. Walther wurde 1939 in Fulda geboren, wo er auch heute, nach seiner Professur 1971-2005 an der HBK Hamburg, wieder lebt. 1962-64 hat er an der Kunstakademie Düsseldorf studiert und vor allem dort, aber auch der darauffolgenden Zeit in New York seinen Kunstbegriff ausformuliert. Er ist ein Pionier der Prozess-Kunst und ist einige Schritte darüber hinaus gegangen. Idee wird – als Handlung – zur Skulptur. Dazu hat Walther, nach Anfängen mit (gefalteten, gestapelten, mit Farbe getränkten) Papierbögen, 1963 das Nähen von (farbigem) Stoff für seine Kunst entdeckt. Die an sich funktionslosen Textilstücke hat er in die „Lagerform“ gebracht und als Feld aus planen Flächen, Rollen und Stapeln auf dem Boden oder im Regal oder wie „klassische“ Kunst an der Wand präsentiert. Der nächste Schritt ist, dass er und dann auch das Publikum zu bestimmten Anlässen die Stoffpartien überziehen: Mit diesem Programm ist Franz Erhard Walther bis heute bekannt und hat damit 2017 auf der Biennale Venedig im Arsenale einen eigenen Raum ausgestaltet und erfüllt mit allen Facetten von monochromer Malerei, Installation und Aktion.
Ganz anders nun derzeit in der Synagoge in Stommeln. Zu sehen sind dort, in versetzt gegenläufiger Präsentation, zwei gleichschenklige Dreieck-Objekte aus gelbem Baumwollstoff. Die Schrägen laufen in den Raum hinein, während die vertikalen Seiten zur Wand hin gerichtet sind. Sie sind organisch eingebuchtet, so dass sich ein Mensch in sie einpassen kann. Bei der Eröffnung wurde dies mit der „Werkaktivierung“ durch zwei Akteure vorgeführt, die einmal näher und dann wieder ferner vor diesen Einpassungen standen: Zu all den genannten Themen wird hier noch die Rolle des Menschen, sein Verhältnis zu der Skulptur, auch als Teil von ihr, deutlich. Zeit wird erfahrbar, übrigens auch, indem die schrägen Schenkel zu bestimmten Zeiten den Lichtfall durch die Fenster wiederholen: Der Raum wird in seiner Kleinheit, aber auch Größe reflektiert.
Franz Erhard Walther ist der 25. Künstler, der seit 1991 in der Synagoge Stommeln bei Pulheim ausstellt: Eingeladen wurden so angesagte Künstler wie Jannis Kounellis oder Eduardo Chillida. Also es ist eine Ehre, hier beteiligt zu sein. Aber es ist auch eine Ehre für die veranstaltende Gemeinde, dass der grosse Franz Erhard Walther so punktgenau auf die Situation reagiert hat.
Franz Erhard Walther | bis 18.11. | Synagoge Stommeln, Pulheim | 02238 80 81 88
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