Ende des 19. Jahrhunderts erweckt der berüchtigte britische Arzt Dr. Godwin Baxter, kurz God genannt, die Selbstmörderin Bella zu neuem Leben. Als sich Baxters Assistent Max in die schöne Bella (die nicht umsonst so heißt) trotz ihres kindlichen Geisteszustands verliebt, passt das dem Doktor gut in seine Pläne. Denn so kann Max, der Bella heiraten soll, seine Ehefrau in spe umso besser beobachten. Einzige Voraussetzung: Das junge Paar wohnt weiterhin bei dem Wissenschaftler. Doch Baxter hat nicht nur so manche seiner Experimente nicht ganz im Griff, sondern auch die Ereignisse rund um Bella. Die entdeckt gerade ihre Sexualität – und Baxters neugieriger Anwalt Duncan Wedderburn brennt kurzerhand mit ihr durch. Von nun an bleiben Baxter und seinem brüskierten Assistenten nur die Postkarten, die Bella von ihrer Reise durch den Mittelmeerraum schickt. Auf Grundlage des gleichnamigen Romans vom schottischen Schriftsteller Alasdair Gray aus dem Jahr 1992 und der Drehbuchfassung von Tony McNamara entfaltet der griechische Regisseur Yórgos Lánthimos in „Poor Things“ (Cinenova, Odeon, Lichtspiele Kalk, OmU im Cinenova, Odeon und OFF Broadway) eine wilde, moderne Fassung des Schauerromans von Mary Shelley. Ästhetisch geht Lánthimos mit „Poor Things“ ganz neue Wege. War bereits der Vorgänger „The Favourite“ anders als die früheren Filme visuell opulent inszeniert, ist „Poor Things“ eine wüste Mischung aus M.C. Eschers Verwirr-Ästhetik, Disney-Farbkitsch und altmodischem Gruselfilm. Bella wächst auf ihrer Reise mit dem etwas hinterlistigen Anwalt Duncan Wedderburn durch Städte und Länder wie in einem feministischen Bildungsroman mit jeder neuen Erfahrung auch mental und moralisch: Sie lernt die Armut kennen, sie lernt verschiedene Ethnien kennen, sie lernt die Sexarbeit kennen, sie lernt sozialistische und feministische Ideen kennen und greift all das interessiert und vorurteilsfrei auf, mehr noch: schreibt es auf ihre Agenda. Derart gerüstet, kann sie in ihrer Heimat die ihr bevorstehenden Aufgaben vielleicht meistern. Lánthimos neuester Film ist eine lustvolle, erzählerisch und visuell überbordende Fantasie, der man sich dank des gut aufgelegten Ensembles um William Dafoe als Dr. Baxter, Mark Ruffalo als Anwalt und natürlich Emma Stone als Bella (Lánthimos: „Dieser Film ist sie – vor und hinter der Kamera“) nur allzu gerne hingibt.
Roman Polanski verbringt die Silvesternacht 1999 in einem Luxushotel. Hier und in weiteren Hotels beobachtet der Regisseur die Menschen. Die Idee zu einem Film keimt – jetzt, mit mittlerweile 90 Jahren, hat Polanski ihn realisiert: Er vereint Mickey Rourke, Fanny Ardant, John Cleese vor der Kamera und blickt zur Jahrtausendwende humorvoll in Abgründe und Höhenflüge von Elite und Arbeiterschaft. In „The Palace“ (Cinedom, Cineplex, UCI) sind der gesellschaftskritische Biss und das inszenatorische Tempo einer Betulichkeit gewichen, die die Dekadenz mit Altersmilde, wenn auch elegant, in Szene setzt. Hübsch eingewobene (Disney-)Musikzitate und Verweise auf eigene Filme machen Polanskis 25. Werk sehenswert.
Außerdem neu in den Kinos: Behrooz Karamizades poetisches Drama „Leere Netze“ (OmU in der Bonner Kinemathek, am 24.1. in der Filmpalette mit dem Regisseur), Kaouther Ben Hanias die Grenzen auslotender Dokumentarfilm „Olfas Töchter“ (OmU in der Filmpalette und im Odeon, am 20.1. im Odeon mit den Protagonistinnen), Kolja Maliks etwas andere Männer-Love-Story „LasVegas“, Laura Kaehrs Tänzerinnen-Doku „Becoming Giulia“ (am 21.1. im Odeon mit der Regisseurin) und Will Glucks Fast-Ehe-Komödie „Wo die Lüge hinfällt“ (Cinedom, Cineplex, UCI).
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