Oslo Stories: Sehnsucht
Norwegen, Schweden 2024, Laufzeit: 125 Min., FSK 12
Regie: Dag Johan Haugerud
Darsteller: Jan Gunnar Røise, Thorbjørn Harr, Siri Forberg
Aufwühlendes Beziehungsdrama
Träume
„Oslo Stories: Sehnsucht“ von Dag Johan Haugerud
In den deutschen Kinos bildet „Sehnsucht“ den Abschluss dieser beeindruckenden Trilogie von Dag Johan Haugerud. Jede Episode ist eine Empfehlung wert und wäre ein Kandidat für den Film des Monats, aber dafür bleibt gar keine Zeit in dieser geballten Startfolge. Haugerud betrachtet in seiner Trilogie Denk- und Verhaltensmuster, Beziehungen und ihre Spielarten, Sehnsüchte. In „Träume“ steht seine junge, unerfahrene Protagonistin noch mitten in ihrer sexuellen Erweckung: die erste Liebe, und eine verbotene gleich dazu. Davor („Liebe“) hatten sich zwei reifere Hauptfiguren schon wieder selbstbewusst von klassischen Beziehungsschablonen gelöst. In „Sehnsucht“ nun werden zwei Schornsteinfeger und Familienväter aus ihren Rollen, aus ihren konformen Beziehungsmustern herausgeholt. Auslöser dafür sind Blicke: Der eine (Jan Gunnar Røise) wird von einem Kunden spontan zum Sex verführt, nachdem der Kunde ihn so angeschaut hat, wie ihn noch nie jemand angeschaut hat. „Sensationell“, vertraut sich der Schornsteinfeger seinem Teamleiter an. Aber bedeutungslos, wiegelt er ab. Und so erzählt er es auch gleich der Gattin. Der Blick indes, der den christlich verankerten Teamleiter (Thorbjørn Harr) aus der Bahn wirft, stammt von David Bowie und erscheint ihm im Traum: Ein Blick, der Geborgenheit verheißt und ihn so betrachtet, als sei er eine Frau. Bowies purer Blick auf das innere Wesen, vom Geschlecht losgelöst: eine Erschütterung – und ein Traum, der wiederkehrt. Die ahnungslose Ehefrau hängt indes einen Traumfänger übers Bett.
Die Oslo-Stories sind intensive, dialogreiche Erfahrungen. Doch Haugerud weiß, sie abzufedern. Mit Ruhepausen. Mit Humor. Mit satirischen Diskursen über Tattoos, „Flashdance“ oder YouTube-Kanäle. Über uns. Über Rollen. So bleibt die Schwere auch in „Sehnsucht“ leicht, Haugerud wahrt den Rhythmus. Äußerlich, wenn sich die Kamera vorübergehend von den Menschen erholt und Oslo erkundet. Innerlich, wenn selbst der schmerzhafte Konflikt von einer Leichtigkeit aufgefangen wird, die jeder Träne Hoffnung abringt: durch die Art und Weise, wie die Menschen hier miteinander reden und einander zuhören. Wie sie wohlwollend Sichtweisen austauschen, die eigene Narration mit der des Gegenübers abgleichen. Überhaupt spielen Geschichten eine große Rolle bei Haugerud. Und das, was passiert, wenn man sie aufschreibt. Manche Tat schmerzt hier, das Wort aber, die gegenseitige Zuwendung salbt. Das klingt verklärt inmitten der toxisch aufgeladenen Kommunikation, die uns heute überall umgibt und vergiftet. Haugerud aber ist in keiner Sekunde verklärt.
Haugerud eröffnet Horizonte im Hinblick auf Denk- und Verhaltensmuster, im Hinblick auf das Miteinander. Das ist so sinnlich wie inspirierend. Seine Kamerafrau Cecilie Semec fängt die Figuren erhaben ruhevoll ein, vermittelt Geborgenheit, hält die Spannung mit langen Einstellungen, fährt die Szenerien ab wie magisch ausgebremst. Alles ist kunstvoll hier und nah am Leben zugleich. Traurig, sanft, berührend, wahr. Haugerud findet Gutes im Menschen. Besseres.
(Hartmut Ernst)
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