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Joan Mitchell, Ausstellungsansicht Museum Ludwig, Köln, © Estate Joan Mitchell, Paris
Foto: Rheinisches Bildarchiv / Britta Schlier

Farben flirren

28. Januar 2016

Retrospektive der Malerei von Joan Mitchell im Museum Ludwig – kunst & gut 02/16

Ein ewiger Geheimtipp, hochgeehrt von einigen wenigen Spezialisten? Oder doch nicht so bedeutend? Selbst in Frankreich, wo Joan Mitchell ihr halbes Lebens verbracht hat, ist die Anzahl der Ausstellungen überschaubar. Vielleicht liegt es ja gerade daran, dass die amerikanische Malerin (1925-1992) mit ihrem Werk nirgendwo so richtig zu verorten ist, was freilich auch ein Zeichen für Eigenständigkeit und Qualität sein könnte. Mitchells energisch den weißen Bildgrund durchpflügenden Pinselhiebe entstammen in ihrem Duktus dem US-amerikanischen Abstrakten Expressionismus. Später nehmen die Leere und damit die Helligkeit auf der Fläche zu, die Malerei entwickelt sich hin zum Tachismus und zur informellen Malerei in Westeuropa. Einen Einblick in diese französischen Jahre bot vergangenes Jahr das Museum Folkwang in Essen. Ausgestellt waren dort kleinformatige Farbzeichnungen aus Skizzenbüchern: schnell, in einem Durchgang auf das Papier gesetzt. Das reichte. Der Besucher bekam einen wunderbaren Eindruck davon, mit was für einem feinen Sensorium Joan Mitchell atmosphärische Stimmungen einfing. In der Landschaft von Vétheuil, vor den Toren von Paris, wo auch Claude Monet gelebt hatte, hatte sie sich 1968 ein Atelier eingerichtet. Hier konzentrierte sie sich ganz auf die unmittelbare Naturerfahrung, sie wandte sich dem Licht und den Verschattungen, den Wasserspiegelungen und der Bewegtheit und Farbigkeit der Vegetation zu. All das ist nun in den bröseligen Linien und deren implosionsartigen Verdichtungen konserviert: Diese Miniaturen bieten geniale Augenblicke.

Und die Malerei? Mit etwa 30 Gemälden ist die Ausstellung im Museum Ludwig für eine Werkübersicht etwas knapp bestückt, auch wenn die meisten Bilder großformatig sind. Hier nun überzeugt besonders das frühe, amerikanische Werk. Im Künstlermilieu von New York, wo sie an der Columbia University studiert hat und mit ihren berühmten Kollegen in Kontakt stand, hatte Joan Mitchell früh Erfolg. 1958 fand der erste Ankauf eines Museums statt, und im Jahr darauf wurde sie – gerade 34-jährig – zur documenta nach Kassel eingeladen. Für Mitchell, die sich bereits in den 1950er Jahren in Frankreich aufgehalten hatte und zu deren ersten Vorbildern Van Gogh, und Matisse zählen, spielen in diesen Jahren die etwas älteren Maler der New York School eine Rolle, besonders Willem de Kooning, Franz Kline und Jackson Pollock. Mitchells Bilder vereinen das ganze Repertoire an expressiven malerischen Äußerungen. Die Farbe fließt und tropft, die Pinselstriche sind spontan, überlagern sich als „ruppige“ Sehbarrikaden und treffen auf poetisch wolkige Farbräume. Diese Gemälde formulieren ein unruhiges, fragiles Klima und wirken wie in der Nacht gemalt und bei Tag vergegenwärtigt: ein exzessives Verfahren, das Mitchell auch später in Frankreich beibehält. Eine innere Musikalität geht mit einer hohen Zerbrechlichkeit einher. Zwar sind die gestischen Striche und Strichbündel bedeutungstragend, aber eine wichtige Rolle kommt auch der weißen Fläche zu. Diese steigert sich nach und nach bei gleichzeitiger Rücknahme der Farbbewegung und deren Heftigkeit. Erst recht nachdem sich Joan Mitchell in Frankreich auf dem Land niedergelassen hat, erhalten die Farben etwas Schwebendes.

Die großen, ja, gigantischen Formate! Der weiße Grund ist manchmal nun zu präsent. Die Pinselstriche könnten wirken wie nervös strudelnde Farbbündel in der leeren Weite. Dafür erreicht Mitchell jetzt eine Meisterschaft im Schaffen einer lichthellen Leichtigkeit und in den farblichen Temperierungen. Dass auch diese Bilder in engagierten emotionalen Entäußerungen entstanden sind, sieht man ihnen kaum an. Aber Hinweise liefern die Fotodokumente und die Filme, die begleitend gezeigt werden. Und das frühe Werk. Eigentlich eine wichtige Ausstellung.

„Joan Mitchell. Her Life and Paintings“ | bis 21.2. | Museum Ludwig | 22 12 61 65

THOMAS HIRSCH

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