Über vier Jahrzehnte spannt sich die Erzählung über eine italienische Familie, in deren
Zentrum Peppino steht, der sich als ambitionierter Kommunist gegen ehrlose Politiker
zur Wehr setzt. Großes Bilderbuchepos
Der kleine Peppino wächst in den 1930er Jahren bei seinen Eltern in der ländlichen Provinz auf. Die ärmlichen Verhältnisse erlegen dem Jungen bereits vielerlei Arbeit auf: Oliven ernten, Kühe melken oder auch mal Ziegen hüten, was Peppino über Wochen von seinen Eltern trennt. Zum Ausgleich entführt ihn sein politisch ambitionierter Vater Cicco gelegentlich ins Stummfilmkino. Das idyllische Stadtbild wird getrübt von Mussolinis uniformierten Faschisten, die Regimekritiker beobachten und festnehmen. Zugleich fallen skrupellose, von der Mafia unterstützte Großgrundbesitzer über das Land her. Ein paar Jahre später ist das Land vom Fa - schismus befreit – die politischen Machenschaften ehrloser Männer aber bleiben unverändert. Der herangewachsene Peppino (Davide Viviani) tritt in die Kommu - nistische Partei ein. Und er verliebt sich in die Schneiderin Mannina (Mar gareth Madè). Gegen den Widerstand ihrer Eltern sucht das junge Paar sein Glück.
Baarìa ist die Heimatstadt des preisgekrönten Regisseur Giuseppe Tornatore. Der Film ist seine Liebeserklärung an diesen Ort – und an seine Familie: In seinem bisher persönlichsten Film erzählt Tornatore episch von drei Generationen, die zwischen Faschismus, Armut und Protest aufwachsen. Das Ergebnis ist Kino satt: Mit romantisch verklärtem, aber wirkungsvollem Blick fängt der Regisseur die dörfliche Idylle ein, begleitet seinen kämpferischen Protagonisten, spiegelt Lebens freude und Familienglück, Natur und Folklore. Ein Braunfilter pinselt die Leinwand in behagliches Zeitkolorit, während Ennio Morricones allgegenwärtige Musik in La famiglia italiana romantischen Streicherwogen von der Leinwand tropft. Dass das nie kitschig ist, ist bereits eine Leistung. Bei aller optischer Opulenz bleibt derweil die Geschichte etwas auf der Strecke: Das Schicksal dreier Generationen, die politische Karriere des brotlosen Helden, Konflikte mit der nachfolgenden Generation und selbst die Liebesgeschichte zwischen Peppino und Mannina – Tornatore will alles erzählen, doch das ist selbst für 150 Minuten zu viel. Der inszenatorischen Wucht fehlt insgesamt der dramaturgische Unterbau, zu viele Charaktere bleiben Randfiguren, die meisten Konflikte nur angedeutet.
„Baarìa“ ist eine pompöse italienische Familiengeschichte, die mit optischer Brillanz zu Recht die Leinwand sucht, der aber der erzählerische Fokus fehlt. Dass das Epos trotz Überlänge nicht langweilig wird, ist nicht zuletzt dem insgesamt schelmischen Erzählstil des Regisseurs zu verdanken, mit dem er Famiglia, Spa ghetti und Mafia verknüpft – oder auch Reminiszenzen ans Kino selbst. Schick salshaft findet Peppino über die Jahre immer wieder den Weg zurück in den Ki nosaal, der ebenso zum Platz staatlicher Kontrolle als auch zum Ort der Inspiration erwächst. Liebevoll eingefangene Verweise wie diese fließen zuhauf in den Film ein und spiegeln wie bereits in „Cinema Paradiso“ die Liebe des Regisseurs zu seinem Medium.
BAARÌA – EINE ITALIENISCHE FAMILIENGESCHICHTE
Internationale Filmfestspiele von Venedig 2009: Pasinetti Award für Giuseppe Torna to re
I 2009 - Komödie - Regie: Giuseppe Tornatore - Kamera: Enrico Lucidi - mit: Francesco
Scianna, Monica Bellucci, Paolo Briguglia - Verleih: Tobis
Start: 29.4. Metropolis, Weisshaus
BAARÌA – Am Rande |
Giuseppe Tornatore wählte als Schauplatz für seinen neuen Film seine Heimat - stadt Bagheria auf Sizilien. Bagheria, an der Nordküste der Insel gelegen, heißt im lokalen Sprachgebrauch „Baarìa“ und gehört zur Provinz Palermo. Die aus zwei Teilen bestehende Gemeinde bietet sich mit ihren ruhigen und sauberen Stränden und ihrer Provinzialität (und folglich der entsprechenden Sicher heit) reichen Palermern sowohl als Erholungs- als auch Wohnort an. Weite Flä chen zur Landseite hin werden für den Anbau von Zitrusfrüchten genutzt. Bagheria blickt auf keine lange Geschichte zurück: Im 17. und 18. Jahrhundert hatten sich hier erstmals Siedler niedergelassen, um der spanischen Vizekönigs herrschaft in der Hauptstadt Palermo zu entkommen. Den Anfang machte Giuseppe Branciforte, Principe di Butera, als er 1658 die Villa Butera im Stil eines Kastells errichten ließ. In der Folge entstanden zahlreiche prachtvolle Villen, von denen eine besonders aufwändig gestaltete von Goethe auf seiner Italienischen Reise als „palagonische Raserei“ beschrieben wurde. Viele der üppigen, weitläufigen Parkanlagen rund um diese Prachtbauten fielen in den 70er und 80er Jahren jedoch den Spekulationen der Mafia zum Opfer. Der landschaftlichen Schönheit und dem Image des Ortes tat dies allerdings nur kurzfristigen Abbruch; heute gilt Bagheria als eher beschaulich und wird häufig die „Perle des sizilianischen Nordens“ genannt. Der Tourismus floriert, was hauptsächlich dem zunehmenden Rückgang mafiösen Einflusses zu verdanken ist. LINDA HOEMBERG www.comune.bagheria.pa.it www.bagheria.org |
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