Vieles in der Konnotation künstlerischer Bildwelten sogenannter „Outsider“ bleibt für immer im Dunklen, so sehr sich viele selbsternannte Kunstwissenschaftler auch bemühen. Wer wollte die paradoxen Universen eines Adolf Wölfli (1864-1930) oder eines August Walla (1936-2001) oder wie jetzt in Bergisch Gladbach geschehen die grandiose und surreale Welt des Friedrich Schröder-Sonnensterns (1892-1982) entschlüsseln? Diese wundersamen und wunderbaren Räume existieren ausschließlich in den Köpfen der Künstler selbst, sie können reden, sie können erklären, sie würden nicht malen, wenn sie Worte dafür hätten. Art Brut, jaja, doch der Moralist unter der Narrenkappe wäre vor ein paar Jahrhunderten auch der Narr für die Herrschenden gewesen, ohne klinische Studien in Heilanstalten oder den Expertenstreit über diagnostizierte Schizophrenie oder nicht, das zeigt uns jetzt das Licht, und ich bin ziemlich sicher, der alte hagere Mann, der da in den frühen 1980ern noch im Dunklen oft an der Berliner Mauer entlang schlich, kann sich da oben im Künstlerhimmel ein satanisches Grinsen sicher nicht verkneifen – schließlich musste er erst einmal zwei grauenhafte Weltkriege überleben, bevor er wohl mit dem Zeichnen anfangen konnte. Dass er damit zu Ruhm und Geltung kam, so what? – dieser Wahnsinnige hat auch schon mal mitten im deutschen Wirtschaftswunder ein paar tausend DM aus dem Fenster geworfen, einfach so, einfach cool, der olle Spötter. Da war seine fantastische „Brüste und Ärsche und schlimmer-Kunst“ schon was wert, wenn sie auch eher unter dem Ladentisch gehandelt wurde.
Bildlich geisterte ihm nämlich sicher die Fleischeslust ständig durch die hirnigen Zellen, der alte Wunderheiler und Weltverbesserer strichelte dafür Hunderte von Zeichnungen mit Blei- und Buntstiften zusammen oder kolorierte Grafiken mit schlüpfrigem Sujet, und das kam an im prüden Nachkriegsdeutschland, das schaffte Umsatz für die Galeristen und ließ Friedrich Schröder-Sonnenstern nebst Lebensgefährtin Martha Möller (Tante Martha) ein wenig Saus und Braus erfahren. Doch schnell war das Geld alle, der Künstler geriet Ende der 60er in schlechte Kreise, signierte gegen ein paar Scheine alles was ihm, selbst blanko, vorgelegt wurde. Genau dieser Thematik versucht die Ausstellung „Friedrich Schröder-Sonnenstern – Der dreifache Weltmeister aller Künste und seine Werkstatt“ im Kunstmuseum Villa Zanders nachzuspüren und tut dies mit den großartigen Werken des Meisters und mit exemplarischen Beweisen an der Wand. Kurator Hartmut Kraft, selbst fast manischer Sammler der Werke, hat sie zusammengetragen, die Kopien des eigenes Werkes, die folgende Massenproduktion in der eigenen Werkstatt und die „Merkwürdigkeiten“, signiert nach 1969, wo der Künstler schon längst wieder inaktiv gewesen sein soll. Krude, noch vor wenigen Wochen wurden bei einer Ausstellung in Berlin großformatige „handsignierte“ Radierungen (auf dem für ihn typischen Bütten allerdings ohne Auflage) angeboten.
„Friedrich Schröder-Sonnenstern – Der dreifache Weltmeister aller Künste und seine Werkstatt“ | bis 13.3. | Kunstmuseum Villa Zanders, Bergisch Gladbach | 02202 14 23 34
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