„Du bist der üble Hetzer“, brüllt Othello und drängt Jago mit dem Unterarm an die Wand. Er legt seine Hand an den Kehlkopf des Manipulators und drückt zu, als ob er dem Intrigantentum, der Bosheit und Niedertracht einfach die Luft abdrehen wollte –um dann doch wieder „nur“ einen Beweis für Desdemonas angebliche Untreue zu fordern. Stefan Nagel, der lange als Regieassistent am Schauspielhaus gearbeitet hat und mit einem Brinkmann-Abend debütierte, inszeniert Shakespeares „Othello“ als ein Stück aus der Welt der Soldaten und des Krieges. Es geht rau, brutal und zotig zu. Die Männer tragen uniformähnliche Kleidung, bringen die Hände kaum aus den Hosentaschen und lassen, dank der Übersetzung von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel, von „ficken“ bis „Fotze“ nichts aus.
Othello kennt seine gesellschaftlich-politische Funktion: „Ich bin der erste Kopfabschläger meines Staates.“ Mit Josef Tratnik in weißer Uniform ist er so besetzt, wie Shakespeare es vorschreibt: als deutlich älterer Mann. Um die Zuneigung Desdemonas in dieser Konstellation glaubhaft zu machen, muss die Darstellerin einiges aufbieten, und der Elevin Sarah Härtling gelingt das mehr als nur überzeugend. Sie stürmt in Hotpants und mit „Miss Zypern 1563“- Schärpe herein, nennt Othello ihren „Schoko“, gibt das knallharte und statusbewusste Girlie mit bunter Verführungspalette, lässt aber keinen Zweifel an ihrer Zuneigung aufkommen. Symbolisch schweben silberne Ballonherzen unter der Decke, die dann im Verlauf des Abends langsam zu Boden sinken (Bühne: Thomas Unthan).
Der gesellschaftlich sanktionierte Rassismus bleibt an diesem Abend allgegenwärtig: Othello als „Schoko“ und „mein Neger“, der Umgang mit Frauen, die Bemerkungen der Venezianer über ihren Kriegsgegner Türkei – Stefan Nagel zeigt eine von Rassismus grundierte Gesellschaft, die nur noch mehr oder weniger bösartig daherkommt. Die Eifersuchtsgeschichte bekommt dadurch zusätzliches Bezugsfeld eingespannt. Jago als großer Intrigant ist bei dem rhetorisch versierten Makke Schneider ein Hypersemiotiker, der Menschen wie Zeichen deutet („Ich kann Gesichter lesen“). Als einzige Figur wechselt er je nach Gesprächspartner die Sprachebenen, spricht mit dem dumpfen Rodrigo (brillant: Emanuel Fleischknacker, der auch den Schönling Cassio spielt) harte Kanak Sprak, pflegt mit Othello Subordinationssprech und geht mit seiner Frau Emilia (Viktoria Klimmek) in den sarkastischen Verbalclinch. Eine Camouflage, hinter der die charakterliche Leere lauert. Was Jago antreibt, bleibt im Dunkeln, im Vordergrund stehen seine Kunststücke am Worttrapez. Und genau da führt Stefan Nagel beeindruckend vor, wie man durch genaue Arbeit die bei aller Drastik hochartifizielle Sprache von Zaimoglu und Senkel mit einem Körpergestus und einer Haltung verbinden kann, dass selbst Schauspielschüler wie Sarah Härtling, Viktoria Klimmek und Emanuel Fleischknacker in ihren Rollen brillieren können. Ein beeindruckender Abend, der hoffen lässt, dass Stefan Nagel der Kölner Freien Szene erhalten bleibt.
„Othello“ von William Shakespeare | R: Stefan Nagel | Theater der Keller | 8.-10.2., 20 Uhr | www.theater-der-keller.de
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