Wenig passiert im Halbdunkel des Kirchenschiffes, aber wenn man lange und konzentriert innehält, ist das sehr viel und bereichernd. Auf dem Boden befindet sich eine technische Apparatur, karg und funktional mit ihren parallel gespannten elektrischen Drähten. Der Bereich der Hochspannung ist abgezäunt, man hört eine Entzündung und ein Knarzen und sieht anschließend eine Seifenblase, die Gas in sich trägt und von der Empore nach unten schwebt. Das eine Mal landet sie daneben, dann aber trifft sie auf den Drähten auf: Mit einem Knall und für einen Moment bildet sich in der Luft eine Feuerzunge.
Wir denken an den Magier, in dessen Handfläche eine Flamme auflodert; an die tanzende Kontur des „Hausgeistes“ im Gemälde von Max Ernst. Natürlich, der 1980 in Jerusalem geborene, heute in Berlin und New York lebende Ariel Schlesinger streift unweigerlich Assoziationen, die auf den Holocaust weisen. Hier, in einer Kirche, ist dies umso plausibler, bleibt aber nur eine von vielen Konnotationen. Dafür ist das Geschehen zu poetisch, spielt zu sehr mit Zufall, Zulassen und einem fast menschlichen Zug im Gelingen und Scheitern. Und schließlich gehört Feuer zu den Sujets, die Schlesinger in seiner künstlerischen Praxis kontinuierlich hinzuzieht. Er baut Maschinen, die alltägliche Gegenstände aufeinandertreffen lassen und einen plötzlichen Umschlag von der spielerischen Stimmung in Bedrohung und Gefahr vollziehen. In seinen konzeptuellen Arbeiten, die im Umgang mit den Gesetzen der Natur und ihrer Elemente skulptural gelöst und minimalistisch umgesetzt sind, verwendet er etwa Feuerzeuge, deren Flammen sich vereinen. Oder er zeigt einen Fahrradreifen, aus dessen Ventil Gas strömt. Oder zwei Bögen Papier, die sich gegenläufig auf Scheiben drehen und mit jeder Umdrehung so kollidieren, dass sie sich kurz aneinander aufrichten. Eine surreale Erotik lässt sich in solchen Konfrontationen entdecken: Sie werden zu vieldeutigen Gleichnissen.
Ariel Schlesinger, der bereits 2011 im Kunstverein Braunschweig ausgestellt hat und inzwischen weltweit gefragt ist, wurde hierzulande mit seiner riesigen Skulptur vor dem jüdischen Museum in Frankfurt bekannt. Zwei Baumstämme aus Aluminiumguss ragen übereinander auf, das Geäst der Kronen ineinander verhakt, so dass der obere Baum wie eine Spiegelung des unteren wirkt. Sie beschreiben Gesten des Haltens, Himmel und Erde sind ebenso angesprochen wie, an diesem besonderen Standort, das Motiv der Verbundenheit und Entwurzelung mit der biblischen Metapher des Baumes als Verbindung von Gott zum Volk Israel. Ariel Schlesinger berichtet im Gespräch, dass er lange gesucht habe, bis er den passenden Baum gefunden hatte und an Ort und Stelle vorsichtig die Gussform abnehmen konnte. Die gleiche Sensibilität und Feinheit kennzeichnet nun die „Bubble Machine“ in Sankt Peter. Eröffnet in der Weihnachtszeit als Beitrag zur Erinnerung an 1700 Jahre jüdischen Lebens in Deutschland, bleibt sie offen für eigene Erfahrungen, physische Beobachtungen und psychische Empfindungen: für „Übungen der Achtsamkeit“, wie im Faltblatt steht, und als Ausstellung kuratiert von Kai Kullen.
Ariel Schlesinger: Bubble Machine | bis 23.2. | Kunst-Station Sankt Peter Köln | 0221 921 30 30
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Das Verbot, sich zu regen
„Es ist untersagt ...“ von Frank Überall im Gulliver – Kunstwandel 04/24
Neues aus der Kunstszene
Discovery Art Fair in Köln
Makroproteste in der Mikrowelt
Agii Gosse in der Galerie Landmann-31 – Kunstwandel 03/24
Meisterinnen der Malerei
„Maestras“ im Arp Museum Rolandseck
Expansion in die Löwengasse
Kunstraum Grevy eröffnet Pop-Up-Store „Grevy Satellite“ – Kunst 02/24
Faszination für krumme Linien
Julja Schneider im Maternushaus – Kunstwandel 02/24
Ohne Filter
„Draussensicht“ in der Oase – Kunstwandel 01/24
Augenöffner im Autohaus
„The Mystery of Banksy“ in Köln – Kunstwandel 12/23
„Das sind keine elitären Räume“
Künstlerin Rike Hoppse und Mitorganisatorin Lea Geraedts über die 18. KalkKunst – Interview 10/23
Seitwärts tickende Zukunft
Museum Ludwig zeigt „Über den Wert der Zeit“ – Kunst 09/23
Ein Leben lang im inneren Tod
Claire Morgan in der Galerie Karsten Greve – Kunstwandel 09/23
Schatten schlägt Licht
„Sommerwerke 2023“ in der Galerie Kunstraub99 – Kunstwandel 09/23
Berührungsängste verboten
„Memory is not only past“ in der ADKDW – Kunst 04/24
Zauber der Großstadt
Nevin Aladağ im Max Ernst Museum Brühl des LVR – kunst & gut 04/24
Ein König schenkt
Schenkungen von Kasper König an das Museum Ludwig – kunst & gut 03/24
Aufscheinende Traditionen
Helena Parada Kim im Museum für Ostasiatische Kunst – kunst & gut 02/24
Malen mit der Farbe
Rolf Rose im Kunstmuseum Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 01/24
Gespür für Orte
Füsun Onur mit einer Retrospektive im Museum Ludwig – kunst & gut 12/23
Ereignisreiche Orte
Simone Nieweg in der Photographischen Sammlung der SK Stiftung im Mediapark – kunst & gut 11/23