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Kalle Gerigk und Dirk Steinkühler

Bezahlbarer Wohnraum

14. Januar 2017

„Die Stadt als Beute“ in der Außenspielstätte Offenbachplatz – Foyer 01/17

Freitag, 13. Januar: Es ist nicht nur ein Berliner Problem, dem sich der Dokumentarfilmer Andreas Wilcke in seinem aktuellen Film „Die Stadt als Beute“ angenommen hat. Er schildert darin den Wandel der Hauptstadt, die sich in den letzten Jahren als Investitionsort empfohlen hat, wo Altbauten saniert und in Luxuswohnungen umgewandelt werden, wo Mieterverdrängungen stattfinden und Millionäre aus dem Ausland auf Wohnungs-Schnäppchenjagd gehen. Die Situation in Berlin ist auf viele andere, nicht nur deutsche Großstädte übertragbar, nicht zuletzt finden auch in Köln Luxussanierungen und Verdrängungen statt. Einer, der das am eigenen Leib erfahren musste, ist der Kölner Kalle Gerigk, der in seiner Mietwohnung im Agnesviertel zwangsgeräumt und dadurch zu einer Symbolfigur der Domstadt wurde. Es gründete sich die Bürgerinitiative „Alle für Kalle“, der Vertriebene selbst engagiert sich mittlerweile in den Initiativen „Recht auf Stadt“ und „Wohnraum für alle“, was ihn zu einem idealen Gesprächspartner für die Diskussion nach der Projektion von „Die Stadt als Beute“ machte.

Regisseur Andreas Wilcke in der Außenspielstätte Offenbachplatz

Regisseur Andreas Wilcke erläuterte auf Nachfrage von Moderator Dirk Steinkühler von der Filmpalette, dass er geradezu zwangsweise auf das Thema gestoßen wurde, da sein Kiez in Berlin-Friedrichshain in den letzten sechs, sieben Jahren zu einer Art „Naherholungsheim für Touristen“ geworden sei. Wilcke nutzte das als Ansatz, um die gesamte Wohnraumsituation in Berlin einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Auf Immobilienkongressen traf er auf Makler und andere Branchengrößen, die er als Protagonisten für seinen Film auswählte. Dabei legte er durchaus Wert darauf, dass die Personen polarisierten oder als Charaktere interessant waren. Um sie für sein Projekt zu gewinnen und die branchenübliche Rechteabtrittserklärung unterschreiben zu lassen, streute Wilcke die Legende, einen Diplomfilm für die Filmhochschule unter dem Titel „Bauen in Berlin“ zu realisieren. Dennoch war der Filmemacher freudig überrascht, als er sah, wie freizügig seine Interviewpartner über ihre Branche sprachen. Wilcke erklärt sich das so: „Profitmachen ist ja auch gesellschaftlich anerkannt, die wenigsten in diesem Beruf haben dabei ein schlechtes Gewissen.“ Kalle Gerigk ergänzte, dass die Global Player auch in Köln um jedes gewinnbringende Schlupfloch wüssten. So würden dänische Investoren Häuser in Zoo-Nähe energetisch sanieren. „11% der daraus entstehenden Kosten können sie auf die Miete umlegen, was nach durchgeführter Sanierung zu einer Mietsteigerung von 80% geführt hat“, so der lokale Miet-Rebell.

Kalle Gerigk mit dem Kalender von "Wohnraum für alle"

Dass zahlreiche Häuser tatsächlich in einem sanierungsbedürftigen Zustand sind, bestreitet Andreas Wilcke gar nicht, der das auch, teilweise gegen den Protest von linken Häuserbesetzern, in seinem Film dokumentiert hat. „Das heißt aber noch lange nicht, dass die komplette Mieterschaft ausgetauscht werden muss“, relativiert der Regisseur. Dass sich die Welt verändere und sich im Laufe der Zeit auch das Bild einer Stadt immer wieder wandle, sei laut Gerigk unumstößlich. „Leider passiert das fast immer im Sinne derer, die am teuren Wohnen Geld verdienen. Reiche können wohnen, wo sie wollen, die Armen wohnen nur noch dort, wo sie müssen“, fasst Kalle die aktuelle Misere zusammen. Die Lösung liege darin, dass Städte sich im Sinne derer verändern müssten, die darin leben, und nicht im Sinne derer, die mit der Stadt „Monopoly spielen“. Um das durchzusetzen, sei man auf die Politik angewiesen, die in der Demokratie eigentlich von der mehrheitlichen Meinung geleitet sein sollte, anstatt nur wirtschaftlichen Interessen zu folgen. „In Köln wohnen 70% der Menschen zur Miete, in Berlin sind es sogar 80%. Trotzdem wird in der Politik im Interesse von finanzstarken Minderheiten entschieden“, resümiert Kalle Gerigk. Abschließend wies er darauf hin, dass man sich als Bürger durchaus einbringen und engagieren könne, beispielsweise in den Initiativen „Wohnraum für alle“ oder in „Recht auf Stadt – Köln“, die sich für bezahlbaren Wohnraum und lebenswerte öffentliche Räume stark machen und sich jeden 2. und 4. Montag im Monat zu einem offenen Treff im Bürgerzentrum Alte Feuerwache versammeln.

Aktivisten von "Recht auf Stadt" mit ihrem Banner
Text/Fotos: Frank Brenner

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