Die Handlung beruht auf einer wahren Begebenheit, die sich Ende des 19. Jahrhunderts in Nagasaki ereignete: Pinkerton, ein amerikanischer Marineoffizier, lässt sich aus Spaß an der Freud mit einer Geisha nach japanischem Ritus verheiraten. Nach kurzer Zeit kehrt er ohne sie nach Amerika zurück, doch verspricht er ihr, bald wiederzukommen. In seiner Abwesenheit bekommt sie ein Kind von ihm und zieht den Jungen alleine groß, während sie auf Pinkertons Rückkehr hofft. Nach drei Jahren reist er mit einer amerikanischen Ehefrau an seiner Seite nach Nagasaki, um das Kind mit nach Amerika zu nehmen, wo es eine bessere Zukunft haben soll. Butterfly begeht Selbstmord.
Japan musste sich ab 1871 auf Druck Amerikas dem Westen öffnen. Es kamen Europäer und Amerikaner ins Land, die sich wie Eroberer benahmen. Die Soldaten wollten mit Frauen „versorgt“ sein. Der Geisha-Kult pervertierte zu einer Form der versteckten Prostitution, obwohl Geishas in der japanischen Kultur ursprünglich keine Prostituierten waren, sondern Unterhaltungskünstlerinnen auf höchstem Niveau, die ihre Kunden während der Teezeremonie mit traditionellen Tänzen und Literatur unterhielten. Mit der amerikanischen Okkupation Japans entwickelte sich ein breites Geisha-Angebot von hochstehenden Frauen bis zu einfachen Prostituierten. Geschäftstüchtige Japaner wussten die unterschiedlichen Geschmäcker der Fremden zu bedienen und profitierten davon. Die japanische Regierung tolerierte die sogenannten „Japan-Ehen“, die jederzeit von Seiten des Mannes gekündigt werden konnten. Es handelte sich also um Ehen auf Zeit: die Männer bezahlten den Vermittler, die Hochzeitszeremonie und den Unterhalt der Geisha, die ihnen zu Vergnügen aller Art zur Verfügung stand.
Butterfly hingegen versteht sich nicht als Vergnügungsdame, sondern erhofft sich einen Ausweg aus ihrer persönlichen Misere: Sie stammt aus einer hochstehenden Familie, die verstoßen wurde. Ihr Vater beging Harakiri, um der Todesstrafe zu entgehen, nun muss sie selbst für ihren Lebensunterhalt als Geisha sorgen. Sie hofft, durch die Heirat mit dem amerikanischen Offizier die repressive japanische Gesellschaft hinter sich zu lassen und meint, als amerikanische Ehefrau rechtlich abgesichert zu sein. Das Träumen von einem besseren Leben in Amerika wird zum Fluchtpunkt während der Abwesenheit Pinkertons. Obwohl sie als ehemalige Geisha wissen müsste, dass diese Art Ehen nur auf Zeit geschlossen werden, will sie das für sich trotz allen Zuredens nicht akzeptieren. Butterflys Tragödie ist die Verdrängung der Realität, der sie letztendlich nicht entfliehen kann. Ihr Harakiri am Ende ist Anklage und Selbstbehauptung zugleich.
Puccini war tief bewegt, als er David Belascos Theaterstück „Madame Butterfly“ in London sah und sofort entschlossen, das Drama zu vertonen. „Madama Butterfly“ ist die erste von Puccinis beiden Opern mit fernöstlichen Sujets, die im Rahmen der Exotismus-Begeisterung aller Kunstrichtungen um die Jahrhundertwende dem Zeitgeist entsprach. 1926 sollte noch „Turandot“ folgen, die der Komponist jedoch unvollendet hinterließ. „Die vom Hauch des Todes umgebene Atmosphäre des Stückes“ habe ihn vor allem angezogen, sagte er später rückblickend auf den Entstehungsprozess. Puccini vertiefte sich in das Studium japanischer Musik und stand sowohl in engem Austausch mit der berühmten japanischen Schauspielerin Sada Yacco, die in Mailand ein Gastspiel gab, als auch der Gattin des japanischen Botschafters in Italien. Die häufige Verwendung von Quinten- und Quartenfolgen, die Verwendung von Ganztonleitern und Häufung von Nebenakkorden sind generell charakteristisch für Puccinis fremdartiges Klangbild. Fünftonleitern, eine Eigenart asiatischer Musik, japanische Volksliedmelodien und das fremdartige Kolorit des Tamtams und der Röhrenglocken schaffen fernöstliche „Klangkulissen“. Die großen lyrischen Abschnitte hingegen wie das Liebesduett im 1. Akt oder Butterflys berühmte Arie „un bel di vedremo“ halten sich von musikalischer Milieuschilderung fern. Die Uraufführung am 17. Februar 1904 in Mailand war ein –auch Intrigen bedingtes – Fiasko, erst in der überarbeiteten Fassung trat „Madama Butterfly“ ihren internationalen Siegeszug an.
Wo zu sehen in NRW?
20.1., 27.1., 30.1. je 19.30 Uhr | Deutsche Oper am Rhein, Theater Duisburg | 0203 28 36 21 00
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