Bei den Kapriolen, die das Wetter heutzutage schlägt, ist es eigentlich ziemlich wurst, wo man sich in seinem wohlverdienten Sommerurlaub aufhält: Höchste Erfrierungsgefahr für Flip-Flop-besohlte Fußballfans im Herzen Brasiliens. Tieffliegende Sonnenschirmgeschwader an den Stränden Mallorcas. Monsunartige Regenfälle, die wie die Sintflut über die mittlerweile im Zweijahresrhythmus stattfindende Massenkopulation in hiesigen Großstädten hereinbrechen. Gottes Zorn erreicht einen überall. Auf der sicheren Seite ist man nur mit ’nem Buch in der Hand und ’nem Dach über dem Kopf. Und lädt das Klima doch einmal zum Schritt vor die Tür, sollte man seine Nase trotzdem lieber in folgende Bücher stecken, als den großen Zeh ins verlockende Nass. Feuerquallen und Killerhaie als Heimsuchung mondäner Badeorte. Piranha-Schildkröten und Kaimane, die der FKK-Kultur am Baggerloch den Stecker ziehen. Das Schicksal lauert in jedem Tümpel. Also Lesen statt Planschen!
Robert B. Parker, „Finale im Herbst“/„Schmutzige Affären“/„Das gestohlene Manuskript“ [Pendragon, epub, je € 7,99]: Die lässige Eleganz der klassischen Crime Stories rund um das unverschämt coole Private Eye Spenser birgt ein derart hohes Suchtpotenzial, dass man sich am besten gleiche alle drei Neuerscheinungen auf den eReader lädt. / Szczepan Twardoch, „Morphin“ [rowohlt Berlin, 592 S., € 22,95]: Ein mit unfassbar feiner, zugleich schonungsloser wie romantischer Feder gezeichnetes Momentpanorama aus der Zeit, als die Budapester Boheme langsam aber sicher von NS-Militärstiefeln zermalmt wurde. / Christian Löer, „Wir waren klar besser“ [KiWi, 160 S., € 9,99]: Die Kolumnen des Ex-Stadt-Anzeiger-Sportredakteurs aus der Aufstiegssaison verkürzen nicht nur dem FC-Fan aufs Köstlichste die Wartezeit bis zum BuLi-Start, sondern sollten auch allen gegnerischen Anhängern als Saisonvorbereitung dienen: Damit wir nicht immer den Ironie-Button drücken müssen, wenn wir vom baldigen Gewinn der Champions League singen. / Jonathan Lethem, „Der Garten der Dissidenten“ [Tropen, 476 S., € 24,95]: Eine so subversive wie gewaltige US-Familiensaga über die Hinlänglichkeit jeglicher Utopien, die man mit einem feisten Grinsen im Gesicht verschlingt; auch wenn das eigene Scheitern draußen wartet. / Günter Ohnemus, „Ava“ [Beck, 476 S., € 24,95]: Belletristik at its best! Leichtfüßig und intelligent eröffnet der Übersetzer u.a. von Sixties-Kultautor Richard Brautigan, warum die Liebe ohne die Möglichkeit des Verlusts ihre Schönheit einbüßen würde. / Bent Ohle, „Lakeballs“ [Landwirtschaftsverlag, 144 S., € 14,95]: Holy Crap! Herrlich süffisante Provinzposse, bei der sich ein zwangsversetzter Großstadtbulle mit Irokesenschnitt in die Witwe eines zerhackstückelten Golf-Popanzes verguckt. / Tamara Faith Berger, „Pussy“ [MetroLit, 224 S., € 15]: Drastisch genial, nur so lässt sich die Entdeckung der eigenen (hier der weiblichen) Sexualität in einer durch und durch pornografisierten Welt erleben, sezieren, erfahrbar machen; und in diesem Fall auch noch literarisch fesselnd. / A. Lee Martinez, „Terror der Tentakel“ [Piper, 368 S., € 9,99]: Warum sollte im All ein milderes Klima herrschen als auf dem Blauen Planeten?! Also besser nicht aussteigen, wenn der Weltraumtourismus in Baikonur fürs gemeine Volk durchstartet. Wer weiß schon, wie der gottgleiche Despot Mollusk in seiner Midlife-Crisis darauf reagiert, dass die lächerlichen Erdlinge flügge werden.
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