Die wichtigste Seite des Programmheftes ist die Rückseite. In Schwarz und Gold ist das dralle kleine Heftchen gehalten, auf dessen Cover triumphierend „Das zehnte Mal“ verkündet ist. So oft werden die Erfinder der lit.COLOGNE ihre literarische Trapeznummer in diesem Frühjahr (10.-20.3.) vorgeführt haben. Dort hinten, wo keiner –, der schnell einen der 175 Lesetermine nachschlagen will, – so recht hinschaut, sind die Sponsoren des Literaturfestivals verzeichnet. Literatur – das haben wir schon in den Jahren gelernt, in denen die kommunalen Kassen noch voll waren – kostet Geld, interessiert nur Leute, die wahre Spaßbremsen sind, und verheißt nichts als Anstrengung und Langeweile. Wie kann es dann jedoch sein, dass in einer Woche weit über 50.000 Menschen an die seltsamsten Orte, wie etwa ein Polizeirevier, das Affenhaus im Zoo oder ein Fußballstadion, strömen, um sich etwas aus einem Buch vorlesen zu lassen?
Das ist die Frage, die auch dann noch im Raum steht, wenn all die Autoren aus New York, Stockholm und Moskau wieder in ihren Fliegern Richtung Heimat sitzen und in Köln schon „Das nächste Mal“ geplant wird. Mit ihr hängt auch die zweite, noch schrägere Tatsache zusammen, dass die Sponsoren nur so Schlange stehen, um ihr Geld für dieses Event hergeben zu dürfen. Die Buchhandelskette Thalia freut sich in ihren Filialen von den Alpen bis zur Nordsee, Werbung und Bücher für das Fest am Rhein bereitstellen zu können. Der Chemie-Konzern LanXess sieht Forschung und Ausbildung durch die Literaturschau in Köln effizient gefördert und greift gerne tief in die Tasche. Der WDR liefert für die Woche Vorlesen ein Jahr Publicity und sendet die dort aufgenommenen Veranstaltungen über die drei restlichen Jahreszeiten verstreut in seinem Hörfunkprogramm. Und RheinEnergie, jene Firma, die lange Zeit nur an die Massenwirksamkeit des Fußballs glaubte, stellt bei Verbraucherbefragungen fest, dass sich auch mit Literatursponsoring spürbar das Image aufpolieren lässt.
Sowas nennt man auf Neuhochdeutsch eine mit schnellem Zungenschlag gesprochene „Win-Win-Situation“. Aber sie kommt nicht von ungefähr. Denn wenn auch bei so mancher Lesung Iris Berben, Senta Berger oder Jürgen Tarrach mehr Aufmerksamkeit als die Autoren hervorriefen, deren Bücher sie lasen, so hat die lit.COLOGNE doch nie ein Gefälle im Umgang mit Literatur betrieben. Es gab nie jenes „wir hier oben und ihr da unten“, das der Literatur in Deutschland eine verkrustete Kommunikation mit der Öffentlichkeit bescherte und letztlich nichts anderes als ein Ausschließungssystem war, mit dem man den Hort der Kunst zu einer heiligen Stätte erklärte, die er eben nicht ist. Die Gleichmacherei des Unterhaltungsbetriebs hat auf der lit.COLOGNE einmal nicht eingeebnet, sondern Grenzen geöffnet. Deshalb können dann Margaret Atwood, António Lobo Antunes, Henning Mankell oder Katherine Millet neben Hertha Müller, Ai Weiwei, Martin Walser oder Javier Marias die Schönheit des geschriebenen Wortes präsentieren. Und damit die Kinder von diesem Vergnügen nicht ausgeschlossen bleiben, gibt es für sie 80 Veranstaltungen, unter denen auch der kleine Fabio seine Favoriten gefunden hätte.
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