Das hat schon etwas Visionäres: François Durpaire hat vor zwei Jahren mit „Die Präsidentin“ einen Wahlsieg von Marine Le Pen im Jahr 2017 imaginiert, und so unwahrscheinlich erscheint das nun leider gar nicht mehr. Wie der Comic die Übernahme der Regierung beschreibt, erinnert dann auch noch an die ersten Wochen nach Trumps Wahlsieg. Im Folgenden wird ein apokalyptisches Szenario durchdekliniert, dass ernst und überzeugend aufzeigt, was uns demnächst blühen könnte. So klug die politische und gesellschaftliche Sicht Durpaires ist, so wenig Lust machen Farid Boudjellals Zeichnungen, sich auf sie einzulassen. Wie bereits in dem toll recherchierten Comic „Weisse Wölfe“ von Correctiv! zum Thema NSU klaffen Story und Zeichnung sehr auseinander, da die meist auf bearbeiteten Fotos basierten Zeichnungen einer Auseinandersetzung im Weg stehen. Dennoch: Als Agit-Prop wichtig und bedeutsam, Teil zwei liegt in Frankreich bereits vor (Jacoby & Stuart).
Nach ihrem beeindruckenden Bericht von ihrer Birthright-Reise in „Israel verstehen“ legt Sarah Glidden mit „Im Schatten des Krieges“ nun „Reportagen aus Syrien, dem Irak und der Türkei“ vor. Dorthin ist sie gemeinsam mit Journalistenkollegen und einem ehemaligen Marine, der im Irak stationiert war, gereist. Letzteres ist das heikle I-Tüpfelchen auf einer eh schon schwierigen Reise. Glidden und ihre Kollegen spüren individuelle Geschichten hinter den großen Schlagzeilen auf, um die Menschen dort und ihre Situation genauer kennenzulernen – und so vielleicht auch die größeren Zusammenhänge mit anderen Augen zu sehen. Was immer mitschwingt: Die Reflexion der eigenen journalistischen Arbeit (Reprodukt). Fast ein Kriegszustand: Im Baskenland beherrscht der Terrorismus der ETA den Alltag. Miquel, der zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Kindern im Süden Spaniens als Bonbonverkäufer in den Tag hineinlebt, hat damit nichts zu schaffen. Aber der notorische Geldmangel des verhinderten Schriftstellers treibt ihn über eine Anzeige in den Job des Personenschützers. Davon verspricht er sich nicht nur Geld, sondern auch spannende Erfahrungen für die Geschichten, die er schreiben will. Die Entscheidung stellt sein Leben auf den Kopf. Mark Belidos Geschichte ist autobiografisch, das mit der Schriftstellerei hat also doch noch geklappt. Dass der Preis dafür hoch war, erzählt er in der 350-seitigen Graphic Novel „Mikel“, die Judith Vanistendael expressiv und sehr facettenreich umgesetzt hat (Reprodukt).
Auf „Nimona“ können sich alle einigen: Das funny Superhelden-Fantasy-Ritter-Epos der jungen Amerikanerin Noelle Stevenson spielt klug mit den Regeln der Genres: Gut und Böse, die Rollen von Held und Sidekick sowie moralische Fragen werden unorthodox verhandelt bzw. auf den Kopf gestellt, und das mit einer entwaffnenden Spielfreude und Fabulierkunst. 250 Seiten schwer ist das Debüt der 24-jährigen Zeichnerin und Autorin, inzwischen hat sie mit „Nimona“ und ihrer All-Female-Cast Serie „Lumberjanes“ etliche Preise – auch Eisner Awards – eingeheimst, steht auf der New York Times-Bestsellerliste und hat in Hollywood für beide Comics die Filmrechte verkauft (Splitter). Mit dem großartigen „Hier“ hat Richard McGuire die Möglichkeiten, mit Comics Zeit zu erzählen, neu ausgelotet. „Erzählende Bilder“ „Sequentielle Zeichnungen aus dem New Yorker“ ist nun eine Sammlung von wortlosen Strips, die mit wenigen Mitteln, aber guter Beobachtungsgabe und leisem Humor sowohl Zeit als auch Raum erkunden (DuMont).
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