Wenn Ende April die Tage länger und wärmer werden, ist es wieder soweit: Die Saison auf dem Rhein beginnt. Kapitän Kurt Stey fährt seit 37 Jahren für die Köln-Düsseldorfer Deutsche Rheinschifffahrt AG – kurz KD genannt. Er hat lange Jahre die „große Tour“ von Basel bis Antwerpen gemacht und kennt den Fluss mit Mosel und Schelde aus dem FF. Jetzt dirigiert er mehrmals täglich die „Jan von Werth“ durch das Köln-Panorama zwischen Rodenkirchen und Mülheim. „Besser geht’s nicht“, meint er, „Ich bin ja von Köln und der Stadt verbunden.“ Das Schiff ist im Papstkonvoi mitgefahren und begleitet regelmäßig das jährliche Feuerwerk von „Rhein in Flammen“ vor Bonn über die Kölner Lichter bis zum Japanischen Feuerwerk in Düsseldorf. Eine schöne Sache, findet Stey. Und auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble war schon mal an Bord.
Stadtrundfahrt
Vom Rhein aus lässt sich Köln in der Tat erfahren. Nicht nur wegen des Doms, Deutschlands weltweit bekanntestem Bauwerk. Das Panorama insgesamt liefert schon beim ersten Blick Fingerzeige zur Stadt, ihrer Geschichte und ihren aktuellen Befindlichkeiten. So dürfte die Kölner Philharmonie unter dem Museum Ludwig der einzige Konzertsaal weltweit sein, der gleichermaßen von oben wie von unten bedroht ist. Skatern ist es bereits verboten, während des Konzertbetriebs über das philharmonische Dach zu brettern. Jetzt arbeiten Stadtverwaltung und KVB noch an einer archäologischen Lösung für die U-Bahn darunter. Die Altstadt nebenan mit ihren engen Gassen und schmalen, spitzgiebeligen Häusern kommt als mittelalterliches Ensemble daher, stammt in ihrer Gestalt aber aus der Nazi-Zeit. 1935 wurde das damals heruntergekommene Viertel fast komplett abgerissen und im „deutschen Stil“ wieder aufgebaut. Nachdem die Innenstadt im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerbombt worden war, zog man die Häuschen hier ein zweites Mal nach den NS-Plänen hoch. Gleich gegenüber auf der Deutzer Seite plant die Stadt seit kurzem die Anlage einer großen Ufertreppe. Ursprünglich sollte sie das urbane Glanzstück der Regionale 2010 werden. Das rechte Rheinufer liegt an schönen Tagen länger in der Sonne, der Blick auf Rhein, Dom und Altstadt gegenüber ist marketingmäßig unbezahlbar. Doch jetzt wird die Treppe erst 2013 fertig und kostet mindestens ein Drittel mehr als geplant.
Gleich daneben flussab liegen die Messehallen, einst von Oberbürgermeister Konrad Adenauer auf den Weg gebracht. Hinter der historischen Fassade aus den 1920ern verbirgt sich bald ein komplett neues Innenleben. RTL wird hier einziehen. Wirklich interessant wird der Umbau durch seine etwas anrüchige Finanzierung. Der Auftrag dazu ging ohne Ausschreibung an Oppenheim- Esch. Rechtswidriger Klüngel, meinte die Europäische Kommission und klagte. Ihre Aussichten vor dem Europäischen Gerichtshof sind gut. Doch egal, wie es ausgeht, für Köln ist es ein teures Geschäft - die Stadt haftet für Mietzahlungen der Messe von insgesamt 750 Mio. Euro. Ganz nebenbei: Die Bank Sal. Oppenheim hat inzwischen ihren Sitz nach Luxemburg verlegt und ist sogar aus dem Kölnischen Kunstverein ausgetreten.
Flussauf fällt der Blick auf die Deutzer Brücke, inzwischen symbolträchtiger Teil des „Schwulenzentrums West“. Hier startet regelmäßig die CSD-Parade, Teil des größten Queer-Events Europas - in diesem Jahr am 5. Juli. Köln ist übrigens die einzige Stadt Europas, in der sich gleich zwei schwule Kandidaten aus bürgerlichen Parteien um das Amt des Oberbürgermeisters bewerben. Weiter aufwärts herrschen die neuen Kranhäuser. Zwischen ihnen gerade noch sichtbar ist der FrauenMediaTurm. Als Bayenturm markierte er einst den südlichsten Teil der mittelalterlichen Stadtmauer. Heute residieren hier das Feministische Archiv und Alice Schwarzer. Überhaupt haben sich die Frauen im Rheinau-Hafen breit gemacht. Dort tragen sechs Straßen die Namen von Frauen, die Stadtgeschichte schrieben. Der dafür verantwortliche Frauengeschichtsverein bietet auch frauenhistorische Führungen an. Und steht damit in Konkurrenz zu zahlreichen anderen touristischen Angeboten.
Wirtschaftsfaktor
Der Tourismus ist für Köln ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Im letzten Jahr setzte die Branche insgesamt rund 5,5 Mrd. Euro um, so viel wie Chemische Industrie und Maschinenbau zusammen. Auch der leichte Rückgang der Gästezahlen änderte daran nichts, meint Herbert Gey, Aufsichtsratsvorsitzender der KölnTourismus GmbH. Es kamen immer noch 2,38 Millionen, die mit 4,31 Millionen Übernachtungen zu Buche schlugen. Gey: „2008 ist das drittbeste Jahr der Kölner Tourismus- Geschichte.“ Jährliches Wachstum in den letzten 14 Jahren durchschnittlich 5,5 Prozent. Die Zukunft gilt als gesichert, weil touristisch ein „gesunder Nationen-Mix“ vorherrscht. Wenn US-Amerikaner oder Engländer wegen der Krise nicht mehr so oft reisen, ersetzen sie Besucher aus China oder den arabischen Emiraten. Und diese „Zukunftsmärkte“ wachsen. China stieg um ein Viertel, aus Indien kamen 16 Prozent mehr, aus Japan 7 und aus den Arabischen Golfstaaten fast 5 Prozent. Mindestens so wichtig bleibt der Besuch von Nebenan. Beim Städtetourismus machen Tagesreisen rund 87 Prozent aus, vier Fünftel der Leute kommen aus einem Umkreis von 80 km. Anders ausgedrückt: Auf eine Übernachtung kommen 20 Tagesreisen. Vom Tourismus profitieren auch Theater, Museen oder der Zoo, er lässt deren Auslastung steigen. Überhaupt gibt es zwischen Touristen und Einheimischen kaum Interessensgegensätze. Wie eine DTV-Befragung ergab, schätzen beide Gruppen an urbaner Lebensqualität eine historische Innenstadt, gepflegte Grünanlagen (je 71 Prozent), Freizeitangebote, Öffentliche Verkehrsmittel (je 69 Prozent) und Sauberkeit (68 Prozent). Sind wir da nicht alle Touristen?
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