„Beziehungsdrama“, „Familientragödie“ oder „Mord aus Eifersucht“ – in Zeitungen begegnet man regelmäßig solchen Formeln, wenn Frauen von ihren (Ex-)Partnern getötet wurden. Das Bundeskriminalamt nennt diese Verbrechen „Beziehungstaten“. Im Jahr 2018 hat es davon 122 gezählt. Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem (Ex-)Partner ermordet. Schon die schiere Anzahl der Taten unterstreicht, dass es sich bei dem, was das Bundeskriminalamt als „Beziehungstaten“ bezeichnet, um ein strukturelles Problem handelt. Und es gibt weitere Argumente dafür: 35 % aller weltweiten Morde an Frauen wurden von (Ex-)Partnern begangen. Bei getöteten Männern sind es nur 5 %.
Die Motivlage, die Männer dazu treibt, kann sehr unterschiedlich sein. Und doch trägt ein patriarchal grundiertes Weltbild stark dazu bei, dass Frauen so oft Opfer von männlicher Gewalt werden. Ist das Frauenbild eines Mannes von Unterordnung und Gehorsam geprägt, sehen Männer ihre Frauen mehr als Besitz, denn als gleichwertigen Partner an. Diese Männer können oft nicht akzeptieren, wenn Frauen eine selbstbestimmte Entscheidung treffen, indem sie sich von diesem Unterdrückungssystem lossagen, und werden deswegen gewalttätig.
Schon lange wird ein alternativer Begriff gehandelt, der die strukturelle Gewalt auf den Begriff bringt, die Frauen auf der ganzen Welt zu erleiden haben: Femizid. Er bezeichnet die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts. Seit 2009 wird er auch von der UN verwendet. In Deutschland hat sich der Begriff dagegen nicht durchgesetzt. Wird stattdessen in der Zeitung oder im Polizeibericht von „Beziehungstaten“ oder „Familientragödien“ berichtet, hilft die Berichterstattung höchstens dabei, die voyeuristische Neugier ihrer Leser zu befriedigen. Die strukturelle Dimension aber bleibt verborgen, weil die Problematik ins Private verlegt wird. Statt als politisches Problem erkannt zu werden, verzwergt man die Taten zu individuellen Gruselgeschichten. Und genau das ist das Problem.
Morde zu Gruselgeschichten verzwergt
Nun kann man lange um richtige Begriffe streiten. Man kann sie auch als engstirnige Wortklaubereien abtun. Was man aber nicht abtun kann, sind die Missverhältnisse, die durch Sprache zumindest gespiegelt werden. Im Justizsystem etwa: Männer, die Frauen töten, werden häufiger nur wegen Totschlags verurteilt als umgekehrt. Weil sie im Affekt handeln oder eine Motivlage vorweisen, die vom Gericht als nachvollziehbar erachtet wird. Frauen, die ihren Partner töten, müssen das schon wegen ihres körperlichen Nachteils planen – und werden deswegen öfter als Mörderinnen verurteilt. Schon lange fordern Juristinnen und Feministinnen härtere Strafen für Femizide. Damit der systematische Charakter der Taten nicht unsichtbar bleibt.
Die Coronakrise verschärft die Situation. Beengte Wohnverhältnisse, wirtschaftliche Probleme und weniger soziale Kontakte – all das verschlechtert die Situation von Frauen erheblich. Die Lage ist demensprechend unübersichtlich. Niemand weiß genau, was in den letzten Monaten hinter verschlossenen Türen passiert ist. Die strukturelle Gewalt gegen Frauen wird so auf doppelte Weise unsichtbar. Eine Begriffsänderung wird nicht automatisch dafür sorgen, die Situation von Frauen zu verbessern. Und doch bringt der Begriff Femizid die politische und gesellschaftliche Dimension zum Ausdruck, die sonst verborgen bleibt, und könnte so Problembewusstsein und Handlungsdruck entwickeln, um gegen die reale Gewalt gegen Frauen vorzugehen.
Femizid - Aktiv im Thema
hilfetelefon.de | Präsenz des „Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen“ des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Angelegenheiten.
lag-autonomefrauenhaeusernrw.de | Die Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer Frauenhäuser NRW e. V. bietet von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern Schutz.
arbeitskreis-frauengesundheit.de/category/themen/gewalt-gegen-frauen | Der Arbeitskreis benennt Gewalt als fundamentale Einschränkung der Gesundheit.
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