In diesem Jahr wurde allerorten dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 gedacht. Im Juni geschah das auch auf dem Comicsalon in Erlangen – exemplarisch an Neuerscheinungen von Jacques Tardi und Joe Sacco, die beide angereist waren. Nun erscheint mit Henrik Rehrs prämierter Graphic Novel „Der Attentäter – Die Welt des Gavrilo Princip“ eine Biografie des Mörders von Franz Ferdinand und damit des Hintergrundes der sogenannten Julikrise, die direkt in den Ersten Weltkrieg mündete. Rehrs in bemerkenswerten, beinahe stichartigen Zeichnungen illustrierte Biografie umkreist die politischen Hintergründe anschaulich und liefert zugleich einen allgemeinen Blick in das Entstehen von Terrorismus. Der Journalist und Schriftsteller Dietmar Dath hat gemeinsam mit dem Illustrator Oliver Scheibler den Comic „Mensch wie Gras wie“ vorgelegt. Die Geschichte erzählt von der Biologin Elin, die an Genmanipulationen arbeitet und nicht nur im Beruf moralisch hin und her gerissen ist, sondern auch privat zwischen allen Stühlen sitzt. Arbeit, Politik und Liebe durchwirken die teils konkret, teils assoziativ bebilderte Geschichte, ohne dass Intellekt und Emotion gegeneinander ausgespielt würden. Das demonstriert auch Daths Nachwort im Anhang (Verbrecher Verlag). David hat Krebs. Damit muss er erst mal zurechtkommen. Aber auch seine Frau Paula, seine kleine Tochter Tamar und seine erwachsene Tochter Miriam aus erster Ehe müssen ihren Umgang mit Davids Krankheit finden. Judith Vanistendael erzählt ihre berührende Familiengeschichte „Als David seine Stimme verlor“ zwar auch mit Dialog, aber tatsächlich erzählen die Bilder nicht nur in den vielen wortlosen Passagen einen Großteil der Geschichte, sondern sind auch in den dialoglastigeren Momenten sehr vielsagend und ergreifend (Reprodukt).
Mit dem sechsten Band „Wilde Jagd“ erfährt Jeff Lemires postapokalyptsiches Drama „Sweet Tooth“ um eine Seuche und Hybridwesen seinen Abschluss. Nach dem fünften Band mit einer mystischen Backstory ist das Finale nun von der Endschlacht geprägt. Die Serie hinterlässt ob der Brutalität einerseits und der moralischen Implikationen andererseits ein äußerst zwiespältiges Lesevergnügen. Der Humanismus von Lemires „Essex County“ kommt hier jedenfalls nur sehr düster zum Vorschein (Panini). Befreiter kann man in Alan Moores und Kevin O'Neills „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ über Gewalt und menschliche Abgründe sinnieren. Mit „Century“ erscheint nun der dritte Teil der Reihe, der die zuvor einzeln erschienenen Stories „1910“, „1969“ und „2009“ zusammenfasst: Die mit literarischen Anspielungen gepflasterte magische Superheldengeschichte ist ein intellektuelles Vergnügen, das weder auf Action und Popgestus noch auf existentielle Tiefe verzichten muss und auch visuell immer wieder grenzüberschreitend ist (Panini).
Der von Christian A. Bachmann herausgegebene Reader „Bildlaute und laute Bilder“ untersucht die Darstellungsweise von Klangereignissen in Comics. Als Beispiele dienen den acht Autoren für ihre Aufsätze unter anderen Chris Ware, Alan Moore oder Frank Miller, untersucht wird aber z.B. auch „Stripsody“, ein auf Comic-Soundwords basierendes Vokalstück der Avantgardekomponistin Cathy Berberian von 1966. Das Comicmagazin „Strapazin“, das auf dem eingangs erwähnten Comicsalon sein dreißigjähriges Bestehen feierte, widmet seine aktuelle Ausgabe „In Blasen sprechen“ hingegen der Sprechblase: in Texten, aber vor allem mit zahlreichen Kurzgeschichten in gewohnt freier künstlerischer Manier.
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