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Sieben Meter Comic

28. Mai 2014

Formelle und narrative Experimente prägen die aktuellen Veröffentlichungen – ComicKultur 06/14

Joe Sacco hat mit „Der Erste Weltkrieg – Die Schlacht an der Somme“ ein sieben Meter langes Leporello über die verlustreichste Schlacht des Ersten Weltkriegs gezeichnet. Die Zentralperspektive ignorierend, bewegt sich das Bild sowohl auf einer Raum- als auch auf einer Zeitachse. Denn nicht nur entlang des Grabens werden die tragischen Ereignisse in Bildern ganz ohne Text gezeigt. Sacco hat auch eine Zeitebene eingebaut, die die Vorbereitungen und die Entwicklung an diesem verheerenden Tag zeigt. Im Schuber steckt außerdem ein Beiheft, das die historischen Hintergründe und Details des Bildes erläutert. Ein einzigartiges, beeindruckendes Werk (Edition Moderne). Der intensiv recherchierte Band „Unsichtbare Hände“ des Finnen Ville Tietäväinen erzählt vom Schicksal des Tunesiers Rashid, der mit Hilfe von Schleppern nach Spanien kommt und dort zwischen Staatsmacht und illegaler Plantagenarbeit die dunkle Seite der westlichen Welt kennenlernt. In einem langen ersten Teil der fiktiven, aber repräsentativen Geschichte eines nordafrikanischen Flüchtlings lernt der Leser auch die Beweggründe für die gefährliche Reise nach Spanien kennen (Avant Verlag). Mit dem großartigen „Fun Home“ hat Alison Bechdel in einer komplexen Bild-Text-Verbindung ihr Verhältnis zu ihrem heimlich Schwulen Vater ergründet, der sich schließlich umbrachte. Nun erforscht sie in „Wer ist hier die Mutter?“ die enge, aber kühle Beziehung zu ihrer Mutter in nicht minder komplexen Reflexionen, die sich nun auch noch selber beim Erzählen beobachten. Abermals ein Meilenstein (Kiepenheuer & Witsch).

Ed Piskor
ist durch seine Arbeit an Harvey Pekars „American Splendor“ bekannt geworden. Mit „Wizzywig“ fantasiert er „Das Porträt eines notorischen Hackers“. In den 70ern entdeckt Kevin das Telefonnetz für sich und wird Phreak. Vom Phonephreak zum Computerhacker ist es nicht weit, und bald wird er im ganzen Land gejagt. Zugespitzt und auf ungewöhnlich unterhaltsame Art führt uns Piskor in die Subkultur seines Helden ein (Egmont). Mit „Hip Hop Family Tree“ erzählt Piskor dokumentarisch von den frühen Hip-Hop-Jahren in New York. Detailliert und humorvoll entfaltet er das Entstehen einer weltweiten Musik- und Jugendkultur. Band eins deckt im stylishen Retrochic die Jahre bis 1981 ab. Hoffentlich wird auch noch der zweite Teil von 1981 bis 1983 übersetzt (Metrolit). Mit „Mister Nostalgia“ erscheint der dritte Band der bibliophilen Edition des Piskor-Vorbilds Robert Crumb. Hier findet man Arbeiten über Crumbs Liebe zum alten Blues aus den Jahren 1965 bis 1999. Essentiell und eine Alternative zu den teuren Sketchbooks bei Taschen (Reprodukt).

In „Das Imperium des Atoms“ erzählen Thierry Smolderen und Alexandre Clérisse die fantastische Geschichte eines Wissenschaftlers und Science-Fiction-Autors, der glaubt, in Kontakt mit der fernen Zukunft auf anderen Planeten zu stehen. Die in tollen, an die 50er Jahre erinnernden Zeichnungen erzählte Geschichte zwischen Psychodrama, Sternensaga und James Bond lehnt sich lose an das Leben von Cordwainer Smith und den unter dem Pseudonym Kirk Allen bekannten Fall einer Psychose an – erzählt aus der Innensicht des Protagonisten (Carlsen). „Nemo – Herz aus Eis“ ist ein Spin off der „Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“. Nemos Tochter reist an den Südpol, um eine Expedition ihres Vaters erfolgreich zu Ende zu führen und stößt doch nur an ihre Grenzen. Nicht jedoch Autor Alan Moore und Zeichner Kevin O'Neill, die hier munter ihren zitatenreichen Fantasien freien Lauf lassen und Pulp, Pop und Literaturklassiker mit überbordender Fantasie verschmelzen (Panini).

CHRISTIAN MEYER

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