Nimmt man den Komödiengradmesser zur Hand, muss es Köln erbärmlich schlecht gehen. Das Schauspiel Köln, die Comedia, das Horizonttheater, das Theater im Bauturm und das Theater der Keller – überall darf zum Saisonauftakt herzhaft gelacht werden. So viel Publikumsbespaßung war lange nicht. Wahrscheinlich ist der Niedergang bereits in vollem Gange. Heinz Simon Keller, neuer Intendant in der Kleingedankstraße, hat sich Theresia Walsers „Eine Stille für Frau Schirakesch“ zur Brust genommen.
Das Stück ist eine dramatische Petitesse, moralisch-witzige Ergänzungsnahrung fürs liberale Kulturbürgertum. In Afghanistan soll Frau Schirakesch gesteinigt werden, und das deutsche Fernsehen nimmt das zum Anlass für eine große Betroffenheits-Talkshow. Auf der kleinen Bühne steht ein breites Sofa, auf dem sich die sechs gnadenlosen Vollstrecker der Menschenrechte im Vorfeld der Sendung um Kopf und Kragen reden. Klaus Lehmann als General Gert führt mit überkochendem Pathos sein zerschossenes Knie vor und rühmt sich der Einrichtung eines Klohäuschens in Tschundakar. Ihm zur Seite die zwei Teilnehmerinnen der ersten Bikinishow vor Ort, die abgesagt wurde – was die neidische Ruth (Alice Zikeli) und die hysterische Heidrun (Franziska Ferrari) zutiefst bedauern. So zickig die beiden sind, so traumatisiert die Soldatin Rose (Pinar Özden), die schließlich ein abgeschnittenes blutiges Ohr hervorzieht – sekundiert von ihrem voyeuristischen Vater (Michael Morgenstern). In Schach gehalten wird das Quintett von Moderatorin Ludowsky (Susanne Seuffert), die zwischen Sarkasmus, Betroffenheitsgier („Ein Ohr für Frau Schirakesch“) und Manipulation changiert.
Keller inszeniert mit Gefühl für Rhythmus, entlarvt die Figuren nach Kräften, gibt sie jedoch nicht vollends der Lächerlichkeit preis. Die Inszenierung entwickelt die Komik ausschließlich aus den pointensatten Dialogen, ohne sie szenisch überbieten zu wollen – was den Schauspielern Raum zur Entfaltung gibt. Das verleiht dem Abend eine konventionelle Bodenständigkeit, was aber offenbar als Vertrauensangebot an das Stammpublikum des Theaters zu verstehen ist.
Ganz anders dagegen der zweite neue Chef des Theater der Keller. Thomas Ulrich, seit Beginn der Spielzeit Leiter der Schauspielschule, bringt mit seiner Gruppe acting accomplices im Theater am Bauturm „Bunbury“ heraus. Oscar Wildes komödiantisches Spiel mit Identitäten, einer verselbstständigten Sprache und der Sucht nach dem öffentlichkeitswirksamen Auftritt. Algernon Moncrieff (Jean Paul Baeck), ein angefetteter Beau mit Schweißtüchlein und unbezähmbarer Fresssucht, sowie sein eleganter Kumpel Jack Worthing (Jonas Baeck) mit hellgrauer Stelljacke, Lagerfeld-Handschuhen und stochernder Gestik, haben sich jeweils ein Alter Ego erfunden, um ihre erotischen Eskapaden ungehindert ausleben zu können.
Als sie sich in die Nichte bzw. das Mündel des jeweils anderen verlieben, wird daraus eine absurde Verwechslungskomödie. Ulrich setzt ganz auf Slapstick, da werden Augen gerollt, wird wild aufgestampft, schreckhaft getorkelt – die Körper machen sich selbstständig. Am deutlichsten bei Marcus Bechen in der Doppelrolle der Gouvernante Miss Prism und des Pfarrers Dr. Chasuble, in dem offenbar ein Werwolf tobt. Aber auch die Sprache hat die Figuren fest im Griff. Am witzigsten, wenn die als Koketteriemaschine und Revuegirl gezeichnete Gwendoline (Lisa Bihl) von einem eigenen Bonmot überrascht wird.
Am normalsten ist noch die junge Cecily (Stefanie Philipps) gezeichnet. Dass die beiden sich in die verschwuchtelten Jungs verlieben, entspringt hier schierer Komödiennotdurft. Das ist alles brillant und hochkomisch, doch je länger der Abend, desto narzisstischer präsentiert sich die Inszenierung, ist schiere Mechanik ohne Inhalt. Das schmälert nicht die Leistung der hinreißenden Schauspieler. Doch ihre Figuren geraten eben doch nicht außer sich oder in die Zahnräder der Textmaschine. „Bei solchen Angelegenheiten geht es um den Stil und nicht um die Wahrheit“, heißt es im Stück, vielleicht hat die Regie das zu wörtlich genommen.
„Eine Stille für Frau Schirakesch“ von Theresia Walder | R: Heinz Simon Keller | Theater der Keller | 4./5./10./17./18./27./31.10. 20 Uhr | www.theater-der-keller.de
„Bunbury“ von Oscar Wilde | R: Thomas Ulrich | Theater im Bauturm | 1.7./10.-12./23.-26.10. 20 Uhr | www.theater-im-bauturm.de
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