Gipi unterstreicht mit der autobiografischen Geschichte „S.“ seine Meisterschaft auf allen Ebenen: Die Zeichnungen mit Aquarell-Kolorierung sind schön und stimmungsvoll. Und die Geschichte erzählt er ebenso spannend wie gefühlvoll. Es geht um traumatische Kriegserlebnisse seiner Eltern, wie sie deren Liebe zerstören und sich bis in die nächste Generation – zu Gipi – fortpflanzen. Der Generationskonflikt lässt sich hier darauf runterbrechen: Die einen erleben Krieg, die anderen spielen ihn auf dem Computer – und keiner versteht den anderen (Reprodukt). Auch Paul Hornschemeier ist ein Meister seines Faches, der aber stilistisch kaum weiter von Gipi entfernt sein könnt. Er steht mit seinen klaren, flächigen Farbzeichnungen in der Tradition von Daniel Clowes oder auch Chris Ware. Bereits in seinem letzten Werk „Die drei Paradoxien“ hat er mit Bildzitaten gespielt. Dort waren es Comics, in „Mein Leben mit Mr. Dangerous“ ist es die Lieblingsserie der nerdigen Protagonistin, die sich darüber im Klaren werden muss, für wen und für was ihr Herz schlägt. Nicht nur die Zeichnungen sind wieder einmal toll, auch Hornschemeiers Spiel mit den Mitteln des Mediums ist virtuos. Und bei all dem vergisst er nie das Wichtigste: dem Leser die Gefühle der Protagonisten nahezubringen (Carlsen).
Arne Jysch legt mit „Wave and Smile“ einen Comic zum Afghanistan-Konflikt vor. Er behandelt das Thema zwar 'embedded', also aus der Perspektive der Armee, aber es ist keine der zurzeit so beliebten Comicreportagen. Die Story um einen Bundeswehrsoldaten, der bei einem Einsatz einen Mann als Gefangenen der Taliban verliert und ihn daraufhin auf eigene Faust sucht, ist fiktiv und neigt zur Action. Doch andererseits ist Jysch mit zahlreichen Wendungen bemüht, möglichst viele Seiten des Konflikts aufzuzeigen. Für ein Debüt ist ihm das überraschend elegant gelungen (Carlsen). „Metro“ von Magdy El-Shafee ist in Ägypten verboten. Nicht nur moralisch für die Region kaum haltbar, auch die Abrechnung mit der Korruption im Land spricht eine deutliche Sprache. Künstlerisch ist das vielleicht das Problem des Comics, der nur wenig subtil ist, sondern recht grob alle dem Autor wichtigen Themen einbaut. Auch der wilde Zeichenstil ändert sich scheinbar willkürlich. Aber einerseits kann man nur froh sein, dass ein solches künstlerisches Dokument überhaupt erscheint. Andererseits ist der atemlose, wilde und zuweilen wirre Stil vielleicht auch das adäquate Mittel, die atemlosen, wilden und wirren Ereignisse in Nordafrika abzubilden (Edition Moderne).
Alan Moore und Kevin O'Neill versetzen nach „1910“ ihre „Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ nun ins Jahr „1969“. O'Neill kann sich da farbenprächtig austoben, während Moore die Aufmerksamkeit des Lesers wieder mächtig fordert. Psychedelische Alpträume und Schwarze Messen sorgen nicht gerade für klare Verhältnisse, als unsere inzwischen unsterblichen Helden gegen einen tödlichen Magier antreten. Turbulent und mal wieder bis zum Bersten aufgeladen mit literarischen, philosophischen und popkulturellen Anspielungen (Panini). Nach „Faust“ nimmt sich Flix „Don Quijote“ vor und verlegt den Stoff ins Hier und Jetzt. Don Quijote ist ein Querulant vor dem Herrn – eine nörgelnde Plage, die in ihrem spleenigen Enkel einen Verbündeten sieht für ihre wahnhaften Feldzüge zwischen Altersheim, Berlin-Mitte und dem Umland. Flix macht daraus ein surreales Spektakel allererster Güte (Carlsen).
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