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Die britische Alternative-Sängerin PJ Harvey
Foto: Maria Mochnacz

Politische Statements im Mantel der Dunkelheit

18. Oktober 2016

PJ Harvey mit imposanter Big Band im Kölner Palladium – Konzert 10/16

Die Stahlträgerkonstruktion der mehr als hundert Jahre alten Maschinenbauhalle sind imposant und kalt zugleich. Sie vermitteln eine rohe Stärke, die sich in eine düstere Atmosphäre taucht. Das Palladium bietet an diesem Samstagabend also die perfekte Rahmengestaltung für Polly Jean Harveys schwere Themen aus Krieg, Ungerechtigkeit und Existentialismus. Schon immer war die Engländerin anders. Sie wollte Neues schaffen, das in Erinnerung bleibt. Was sie mit ihrer unverkennbaren Stimme und ihren Instrumenten erzeugt, hat nichts mit Chartmusik zu tun, sondern mit tiefgründigen Gedanken. Um diese mit Geschichten zu füllen, reist sie an unbekannte Orte, die nur die Wenigsten freiwillig besuchen würden – wie bei ihrem aktuellen, neunten Album „The Hope Six Demolition Project“.

Das bereits gedimmte Hallenlicht verdunkelt sich zu Konzertbeginn komplett. Die Hand vor den Augen ist nicht mehr zu erkennen. Das Publikum hat sich der Szenerie farblich angepasst. Bis auf die zumeist weißen Köpfe, die ein höheres Durchschnittsalter vermuten lassen. Einzig die Bühne wird beim Ertönen der ersten Instrumente erhellt. Eine Handvoll Strahler verfolgen die neunköpfige Band, die mit Marschtrommeln und Pauke einen imposanten Einzug abliefert.


Foto: Christian Meyer

Ganz klein und unscheinbar steht PJ da, zwischen den Männern in Anzügen, die an ihrem großen Instrumentarium Platz nehmen. Ihre Band besteht aus musikalischen Legenden, wie Langzeit-Kollege John Parish, James Johnston (Gallon Drunk), Baritonsaxofonist Terry Edwards, Alain Johannes (Queens of the Stone Age u.a.) und Mick Harvey (ex-The Bad Seeds). Diesmal also ohne ihr extravagantes Bühnenoutfit, lediglich der Feder-Haarschmuck erinnert an ihre eigentliche Bühnenpräsenz. Heute trägt sie Shirt, Ledermini und Stiefel – gewöhnlich normal und dennoch umgibt sie diese mystische Aura. Ihr markanter Gesichtsausdruck und die tiefen, schattigen Augen blicken finster durch die Menge hindurch.

Die ersten zwei Drittel des Sets beschäftigen sich mit den beiden aktuellen Alben, also auch mit dem zentralen Thema Krieg. Harveys feiner Gesang begleitet das vielseitige Set aus Keyboards, Gitarre, Bass, Trommel, Schlagzeug, Percussions, Geige und Bläsern. Zu keinem Moment bleibt ihr Körper ohne Spannung, mit freier Hand malt sie zusätzliche Noten und Unterstreichungen in die Luft und gleitet mit graziler Leichtigkeit von einer Seite zur anderen. Sie beherrscht die Kunst, hinter einem Mikrofonständer zu stehen, ohne herumzustehen. Nach jedem Song gibt es minutenlangen Applaus, als ob es der letzte wäre. Interaktion mit dem Publikum, ein Lächeln oder ein dankendes Nicken – Fehlanzeige. Die Künstler bewahren ihre professionelle Haltung und absolvieren Hit für Hit. Alles wirkt bis ins letzte Detail einstudiert, ein Fehler wird nicht toleriert.

Der letzte Teil beinhaltet die Titel der älteren Alben. Natürlich darf dabei auch „Down By the Water“ nicht fehlen. Alles rastet aus – die Big Band, inklusive PJ, zeigen sich davon wenig beeindruckt. Entfesselte Saxophoneinlagen wie bei „The Ministry of Social Affairs“ sind die wenigen Momente, in denen statt des Gesangs das Instrument im Vordergrund steht. Sonore Männerchöre, Canons und Gospelgesänge ziehen sich durch das ganze Konzert. Die politisch gefüllten Messages werden schicksalhaft vorgetragen. Wichtige Wörter und Slogans werden mit Nachdruck betont und wiederholt. Hört sich so Journalismus-Pop an? Für das letzte Album reiste Harvey in den Kosovo und nach Kabul. Die bettelnde Armut und die vom Krieg zerrütteten Zustände bekommen im Palladium ein zu Hause, es wird zu einer Kirche, einem Dom. Die Gesänge rufen, Harveys Blick neigt sich immer wieder suchend der Hallendecke entgegen.

Das Endszenario begleitet alle gemeinsam an die Mikrofonständer. Die Instrumente bleiben liegen. Der Ruf nach Gerechtigkeit erreicht seinen Höhepunkt. Ein gemeinsames Verneigen unter Applaus – wie im Theater – und der einstudierte Auszug mit wiederholtem Getrommel mimen den Schluss. Alleinig bei der Vorstellung ihrer Band und bei einem kurzen Danke nach der Zugabe kommt PJs Sprechstimme zum Einsatz. Manch einem mag das Ganze zu aufgesetzt, zu künstlich herüberkommen, zumal die Thematik der Lieder zutiefst menschlich erscheint. Doch vielleicht benötigen diese schwierigen Geschichten eine gespielte Theatralik, um sie besser ertragen zu können? Oder ist es dem künstlerischen Anspruch zuzuschreiben? Die Vortragenden bauen eine Mauer auf. Wirken fern und befinden sich in ihrer eigenen, musikalischen Welt aus Perfektion. Die Leichtigkeit bleibt letzten Endes auf der Strecke, aber die Erinnerung an eine fantastische Präsentation verweilt fortan im Gedächtnis.

Julia Seiffert

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