Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
4 5 6 7 8 9 10
11 12 13 14 15 16 17

12.575 Beiträge zu
3.805 Filmen im Forum

In sicheren Händen
Foto: ktsdesign / Adobe Stock

Menschliches Versagen

25. Juli 2022

Das Für und Wider von Sicherheit – Teil 3: Leitartikel

Auf Klassenfahrt Ende der 80er, wir besuchen ein Atomkraftwerk. Die Lobby behauptet gerade: Die Meiler sind sicher und werden immer sicherer. Unsere Lehrerin erklärt uns im Vorfeld: „Sicherheit ist ein Begriff, der sich nicht steigern lässt. Wenn ich sage: Etwas ist sicher, dann ist es sicher. Und dann kann und braucht man es nicht sicherer zu machen.“ Seitdem habe ich vor allem eines gelernt: Sicherheitsversprechen sind relativ. Atomkraft ist sicher. Die Rente ist sicher. Blabla. Und wer im Falle eines GAUs sagt, Vorfälle seien auf technisches Versagen zurückzuführen, der vergisst, dass technisches im Grunde immer auf menschliches Versagen zurückzuführen ist. Da bin ich mir sicher.

Sicherheit ist relativ. Und trotzdem: Politik und Wirtschaft umgarnen uns mit Sicherheitsversprechen, denn der Deutsche liebt die Sicherheit. Das Sicherheitssiegel. Nicht nur im Hinblick auf technische Standards. Allein Beständigkeit vermittelt uns Sicherheit. Wenn alles schön so bleibt, wie es ist. Und wenn mal, von Krieg bis Klimakrise, global Gefahren abgewendet werden müssen, dann ist der Deutsche gern dafür, dass sich da etwas tut – solang für ihn selbst am Ende alles so bleibt, wie es ist. Die allmorgendliche Kaffeekapsel. Der allsommerliche eigene Pool. Die alljährliche Kreuzfahrt.

Geliebte Sicherheitssiegel

Sicherheit ist nicht nur technischer Standard, sondern auch ein Gefühl. Ausdruck von Status und Komfort. Wohlstand. Man werfe nur einen Blick auf die Armaturen in unseren Autos. Oder auf die Fahrer, die das Überangebot digitaler Möglichkeiten auf den Fahrzeugdisplays gar nicht mehr erfassen können. Wie soll man denn bitte bei derlei Reizüberflutung während der Fahrt noch ungestört aufs Handy gucken? Der Handyblick hinterm Steuer ist Sinnbild. Sinnbild für den Menschen, der, geborgen in Sicherheit durch Gurt und digitaler Unterstützung, zugleich sich und anderes Leben gefährdet: Sicherheit gefährdet Sicherheit!

Aber der technische Fortschritt schreitet haltlos voran – mit der Digitalisierung rascher als je zuvor. Und ja: Jenseits des dominanten militärischen Sektors, sind Maschinen, Chips und Roboter zuerst einmal darauf ausgelegt, der Menschheit Gutes zu tun. Wohlstand war noch nie so wohlig. Science Fiction war noch nie so Science Fact. Wir waren noch nie so sicher. Also, theoretisch. Wenn bloß der Mensch nicht wäre. Denn der ist auf Profit aus und verkauft Sicherheit bevorzugt für Geld oder Kontrolle bzw. am liebsten für beides. Die Politik, die den Bürger behüten soll, will ihn noch lieber kontrollieren und verkauft ihm Sicherheit vermeintlich alternativlos auf Kosten von Freiheitsrechten.

Sicherheit schafft Ängste

Sicherheit durch Technik ergibt Sinn, wenn es Dinge beschleunigt, uns Mühsal abnimmt, Leben rettet. Aber das Sicherheitsgefühl macht müde. Betriebsblind. Auf allen Ebenen. Und absurderweise hat der Mensch scheinbar umso mehr Ängste, je sicherer er lebt: Sicherheit macht unsicher. Nicht zuletzt, weil Technik uns zeitliche Ressourcen schenkt, in denen wir mehr Zeit darauf verschwenden, uns um Nichtigkeiten zu sorgen. Auch das macht sich die Politik zunutze.

Bei aller Technikbegeisterung darf sich der Mensch nicht ausruhen auf vermeintlicher Sicherheit. Sicherheit funktioniert nur, solang wir eigenverantwortlich bleiben, wach bleiben. Technik kann nur unterstützen. Wer unbedarft Verantwortung an sie abgibt, gibt Kontrolle ab und Daten preis. Sicherheit liegt in jedem einzelnen von uns begründet. Denn eines ist sicher: Nichts ist sicher – dank Faktor Mensch.


ROBOTERLIEBE - Aktiv im Thema

deutschlandfunkkultur.de/kuenstliche-intelligenz-und-empathie-maschinen-die-gefuehle-100.html | Philosophische Audio-Diskussion über Sexroboter.
atlas-digitale-gesundheitswirtschaft.de/gut-begleitet-durch-den-therapie-roboter/ | Kurzer Überblick zum Einsatz von Robotern in Therapie und Rehabilitation.
worldrobotolympiad.de | Der Verein Technik Begeistert will jungen Erwachsene die Faszination für Roboter nahebringen und organisiert die World Robot Olympiad in Deutschland.

Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de

Hartmut Ernst

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Niko – Reise zu den Polarlichtern

Lesen Sie dazu auch:

Wem gehört die Technik?
Intro – Roboterliebe

Wenn die Wife Wifi hat
Von unserer Beziehung zu Maschinen und Bildschirmen – Teil 1: Leitartikel

„Wir werden Menschen an Androiden verlieren“
Technikphilosoph Oliver Bendel über humanoide Roboter als Beziehungspartner – Teil 1: Interview

Was passiert in der Black Box?
Forschung zur digitalen Bildung an der Universität zu Köln – Teil 1: Lokale Initiativen

Lenins MacBook
Mit Big Data und Algorithmen — „Planwirtschaft“ à la Amazon – Teil 2: Leitartikel

„Der Mensch bleibt der wesentliche Risikofaktor im Straßenverkehr“
Mobilitätsberater Jörn Meier-Berberich über autonomes Fahren – Teil 2: Interview

Er-Fahren macht klug
Das „Interdisziplinäre Zentrum Machine Learning and Data Analytics“ der Uni Wuppertal – Teil 2: Lokale Initiativen

„Dank Maschinen leben wir in Wohlstand“
Robotik-Experte Alin Albu-Schäffer über das Verhältnis von Menschen und Robotern – Teil 3: Interview

Konkurrenz oder Entlastung?
Das Kompetenzzentrum Humaine an der Uni Bochum erforscht Künstliche Intelligenz – Teil 3: Lokale Initiative

Künstliche Intelligenz, aber bürgernah?
Luxemburgs KI-Initative AI4GOV – Europa-Vorbild: Luxemburg

Kick per Klick
Von künstlich-intelligentem Nachwuchs und digitalen Partnern – Glosse

Leitartikel

Hier erscheint die Aufforderung!