Es war spannend, nach langer Zeit mal wieder in die ehemalige Kantine der Oper zu kommen. Man schätzte sie früher als Statist und auch – inoffiziell – als Quelle preiswerter Getränke in der regulären Opernpause, wenn man denn den Geheimweg durch die vielen Eisentüren und vorbei an der Maske kannte. Nun sollte wenigstens die provisorisch hergerichtete Kantine anlässlich des 200. Geburtstags von Meister Offenbach an den in weiter Ferne liegenden Wiederbezug der Oper erinnern und hoffen lassen. Vorbei an unverputzten Wänden, Massen an Kabelbündeln, provisorischen Lampen, mit einem flüchtigen Blick in die Innereien der Oper: Hier sollte die Geburtstagsparty stattfinden?
Dazu gleich vorweg: Es hat alles auf den Punkt gepasst und geklappt, die Inspizienz (Kathrin Vinciguerra), die Beleuchtung, die Blitze, der Qualm, die Explosionen (Licht: Andreas Grüter), die Auftritte, der Maskenwechsel und die Musik. Dirigent Gerrit Prießnitz, regelmäßig in Wien, Chemnitz und an der Oper Köln tätig, hätte gut drei Arme brauchen können, denn er begleitete auf dem Flügel in einer kleinen Seitennische, dirigierte gleichzeitig die Handvoll engagiert aufspielender Musiker des Gürzenich-Orchesters und musste dazu die Sänger führen, dies bei begrenzter Sicht, ohne Bildschirme und ganz ohne Souffleur.
Vor der Besprechung der eigentlichen Aufführung muss etwas gelobt werden, was oft als „Stiefkind“ bei Rezensionen durchgeht, nämlich die Dramaturgie, hier deren Chef Georg Kehren und Tanja Fasching. Diese Tätigkeit findet – bis auf gelegentliche Werkseinführungen – eher hinter dem Vorhang statt. Im sehr empfehlenswerten Programmheft, in dem man auch die einzelnen Nummern leicht verfolgen kann, sind die minutiös redigierten und ausgearbeiteten Texte nicht nur für Offenbach-Fans eine wahre Fundgrube über Vorgeschichte, Aufführungen, Rezeptionen und Erläuterungen.
Die Idee zu dieser Geburtstagsfeier (Regie: Christian von Götz) war schon sehr goldig. An einer runden Theke (Bühne: Dieter Richter) wartet der Kellner Jakob (John Heuzenroeder) auf seinen Feierabend. Daraus wird aber nichts, denn allerlei zwielichtige Gestalten, die angeblich zu einem 200. Geburtstag eingeladen sind bevölkern seine Bar. Bald stellt sich heraus: Es sind Figuren aus Offenbach´schen Werken, alle mit einer schriftlichen Einladung und natürlich einer passenden Arie. Die dem Stammpublikum vertrauten Sänger waren kaum wiederzuerkennen: Matthias Hoffmann, soeben mit dem Offenbachpreis ausgezeichnet, sprach und sang mit dem herrlichen österreichischem Dialekt seiner Heimat. „Ich wollte noch intensiver, aber ich durfte nicht“, verriet er anschließend im sehr schön wiederhergestellten Innenhof. Die Kantine der Oper soll hier später öffentlich zugängig sein.
Mit einigen immer wieder sorgsam geglätteten Resthaaren quer über der Glatze war er der perfekte Bösewicht Lindorf aus „Hoffmanns Erzählungen“. Insik Choi, als Geigenlehrer aus „Orphée“, stimmte mal eben, wohl versehentlich, eine Gluck-Arie an und erzielte damit einen kleinen Heiterkeitserfolg im ausverkauften „kleinen Opernhaus“. Man sieht, die Kölner kennen sich aus in Sachen Oper. Sehr reizvoll war es überdies, die Sänger mal auf Tuchfühlung und ganz direkt zu erleben.
Knüller an Darstellung und Stimme waren auch Judith Thielsen als schöne Helena mit kräftigem norddeutschem Akzent und Jeongki Cho als Frauenmörder und Blaubart mit einem Leporello seiner Opfer. Ganz köstlich dann noch Alina Wunderlin aus dem Kölner Opernstudio als unförmige wie koloraturfeste „Dame vom Markt“ und „Hermine“, die sich wiederholt den Sekt zur Tarnung in einen Ayran-Becher schütten ließ und fleißig das gute Besteck abstaubte. Und sehr schade war es, dass Verena Hierholzer nicht gesungen hat. Die Tänzerin war nämlich die puppenhafte Olympia, wunderschön anzuschauen und stets in Aktion.
Alle Akteure glänzten in diesen knapp eineinhalb Stunden blendender Unterhaltung mit vielen kleinen und größtenteils unbekannten Offenbach-Häppchen, mit immensem Drive und ganz vielen kleinen inszenatorischen Gags, zum Beispiel wenn der Kellner den Champagner über die stilvolle Serviette auf seinem Arm direkt in den Mund der Gäste schüttet. Der zeigte auch zunehmend deutliche Wirkung hin bis zu kleinen Händeleien der auf den Gastgeber wartenden Barbesucher. Der Kellner Jakob war dann natürlich selbst der Jubilar, der sich schließlich coram publico seines Bartschmucks entledigte.
Überreichlicher Applaus der rechts und links sitzenden Zuschauer für eine wundervolle Geburtstagsrevue mit immerhin 25 verkürzten Nummern, noch einmal ein Ringelreigen in der runden Bar, und die Offenbach-Geister entschwinden bis zur nächsten Vorstellung ins Nichts.
„Je suis Jacques“ | R: Christian von Götz | 2.7. 20 Uhr, 6.7. 18 Uhr u. 20 Uhr, 9.7. 20.15 Uhr | Oper Köln | 0221 22 12 84 00
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