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Bloß nicht aufhören zu lesen
Foto: Inge Sauer

Ist Lesen anstrengend?

01. Januar 2010

Ein Versuch, über das Internet das Lesen abzuschaffen - Literatur in NRW 01/10

Zeit ist heute das kostbarste Gut. In manchen Tarifverträgen wird mittlerweile auf Geld zugunsten von mehr Freizeit verzichtet. Niemand hat Zeit, Erwachsene ebenso wenig wie Kinder. Deshalb gibt es auch viele Gründe, nicht zu lesen. Und die irrige Ansicht, dass es besser sei zu leben als seine Nase in ein Buch zu stecken, ist immer noch weit verbreitet. Obwohl der junge Mann, der in seinem Auto vor einer roten Ampel steht und schnell nach William S. Burroughs Roman „Naked Lunch“ greift, um begierig ein paar Zeilen zu lesen, doch ziemlich lebendig wirkt. Und die Kinder, die sich nicht einmal auf der Rolltreppe vom Text ihres neuen Schmökers lösen können, sehen die gelangweilt aus? Interessant auch die Beobachtung, dass in Nahverkehrszügen viel gelesen wird, während im ICE Manager ebenso wie Grundschüler vor aufgeklappten Laptops sitzen, in denen bewegliche Bilder flimmern.

„Lesen kostet Zeit – Zeit, die man oftmals nicht hat! Aber wie bleiben Sie am Puls der Zeit, ohne ständig in dicken Wälzern zu schmökern? Darüber müssen Sie sich jetzt keine Sorgen mehr machen, denn die Lösung heißt ShortBooks!“. Das sieht dann so aus, dass Neuerscheinungen auf fünf Seiten im ShortBook zusammengefasst werden, „denn wer hat schon Zeit und Lust, neben dem Beruf, monatlich (...) Bücher zu wälzen?“, meint der Internetanbieter. Endlich wird also auch die Literatur effizient verschlankt. Warum schreiben diese Langweiler von Autoren auch 200, 300 oder 400 Seiten, wenn man das gleiche auf fünf sagen kann? Das effiziente Denken hat die Gestade der Literatur erreicht und verwandelt sie in Form von Inhaltsangaben und aufgelisteten Kernthesen in Information. Dass möglicherweise die Stimme eines Peter Handke anders klingt als die von Günter Grass oder Daniel Kehlmann, können sich Menschen, für die Bücher nichts als „dicke Wälzer“ sind – so die Werbung der ShortBooks – wohl nicht vorstellen. Die Klage, dass Lesen anstrengend ist, hört man auffälligerweise immer aus dem Munde von den Menschen, die selbst nicht lesen. Wohingegen jemand, der für ein Buch Feuer gefangen hat, mit Vorfreude konstatiert, dass noch 200 oder 300 Seiten Genuss vor ihm liegen. ShortBooks, das ist der aktuelle Versuch, das Lesen abzuschaffen und an seine Stelle griffige Infos zu platzieren, die eben gerade keinen „Vorsprung durch Wissen“ gewähren, wie das Label im Untertitel verspricht. Denn Wissen schreibt sich in unser Gehirn durch das Erlebnis ein, von einer Sache wirklich berührt worden zu sein. Ein Roman erschöpft sich nicht im Finale seiner Story, zu ihm gehört die Stimme des Erzählers, seine Fähigkeit, Menschen, Orte und Situationen zu schaffen, es ist der Weg, in dem Genuss und Erkenntnis zum Ausdruck kommen, und nicht die Frage, wer zuerst im Ziel ist.

Thomas Linden

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