Literaturadaptionen im Comicbereich gibt es in diesem Monat gleich zwei: Corbeyan und Horne haben sich Franz Kafkas Novelle „Die Verwandlung“ vorgenommen. Eigentlich eine Geschichte, die man gar nicht so grafisch vor Augen haben möchte. Und so ist latenter Ekel vorprogrammiert, wenn man die zugegebenermaßen gelungene Umsetzung in düsteren Zeichnungen von Horne goutiert (Knesebeck). Mit Marcel Prousts „Die Suche nach der verlorenen Zeit“ hat sich Stéphane Heuet ein etwas umfangreicheres Werk ausgesucht. In fünf Bänden visualisiert er Prousts subjektivistische Erinnerungsreise in wundervollen Ligne Claire-Bildern mit Jugendstil-Flair. Gleich im ersten Band „Combray“ findet er eine treffende Umsetzung für die berühmte, Kindheitserinnerungen auslösende Madeleine im Tee (Knesebeck).
Joe Sacco widmet sich dem Comic-Journalismus. In „Palästina“ beschrieb er die Situation in den palästinensischen Flüchtlingslagern, für „Bosnien“ hat er mehrmals Gorazde besucht, und die langsame Anfeindung von Bosniern und Serben bis zum blutigen Kampf rekapituliert. Zu Beginn will ihm ein Bosnier erzählen, wie es wirklich war – er kenne die ganze Wahrheit. Sacco lehnt dankend ab. Die Szene verdeutlicht, dass Sacco vielleicht, wie es ihm bei „Palästina“ auch immer wieder vorgeworfen wird, parteiisch ist, er aber nicht dogmatisch oder ideologisch wird. Er bleibt den Erzählungen, die er einholt und in groben, Robert Crumb ähnlichen Zeichnungen plastisch darstellt, immer reserviert gegenüber. So sehr er sich auf seine Informanten einlässt – blauäugig ist er nicht (Edition Moderne). „Logicomix“ ist die verschachtelt erzählte Biografie Betrand Russels. Aber eigentlich wollen die Autoren Apostolos Doxiadis und Christos Papadimitriou dem Leser vor allem mathematische, logische und philosophische Fragen näherbringen. Und das gelingt ihnen und den Zeichnern Alecos Papadatos und Annie Di Donna auf über 300 Seiten spannend und spielerisch zugleich. Ein Lehrbuch, dass große Literatur ist und umgekehrt (Atrium). Ralf König holt zum dritten und letzten Schlag gegen das Christentum aus: Nach „Prototyp“ (Adam & Eva) und „Archetyp“ (Noah) nimmt er sich in „Antityp“ Saulus alias Paulus vor und zelebriert ihn als einen geifernden Missionar mit pathologischen Zügen. Biblische Widersprüche werden im Namen der Knollennase genüsslich zerlegt. Wieder mal ein Heidenspaß (Rowohlt).
Winsor McCays Comic-Klassiker „Little Nemo in Slumberland“ kennt man. Ein Jahr zuvor, 1904, erfand er bereits „Little Sammy Sneeze“, einen Jungen, der durch seine monströsen Niesanfälle allerhand Chaos auslöst. Im Gegensatz zu den entgrenzten, surrealen Traumreisen von Little Nemo sind die Little Sammy-Geschichten extrem minimalistisch: Es gibt eine Hintergrundhandlung, und den das Chaos auslösenden Nieser des immer stummen Sammy. Das war‘s. Opfer sind Kaufläden, ganze Häuserreihen und einmal sogar der Panelrahmen (Bocola). Der Verlag Reprodukt macht sich an eine Wiederveröffentlichung von Lewis Trondheims „Die erstaunlichen Abenteuer von Herrn Hase“. Den Alltag von Herrn Hase und seinen Freunden nimmt Trondheim zum Anlass für genaue Charakterzeichnung und gute Dialoge, komisch, aber klug. Das alles geschieht allerdings jeweils vor einem anderen Hintergrund – mal in den Bergen, mal im Wilden Westen – mal fröhlich, mal dramatisch und mal traurig – und immer in Farbe. Und nach Hases Abgang geht es mit der Serie „Die erstaunlichen Abenteuer ohne Herrn Hase“ weiter. Bislang erschienen: „Slalom“ und „Blacktown“ mit und „Endkrass“ ohne Herrn Hase (Reprodukt)
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