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Guerrilla-Bibliothek in Köln
Foto: Thomas Linden

Guerrilla-Bibliotheken

01. Dezember 2009

Wie man ein Buch erwirbt, ohne zu zahlen - Literatur in NRW 12/09

Von Thomas Linden Nachdem der Sprecher in den Radionachrichten sachlich gemeldet hat, wie die Zusammensetzung des neuen schwarz-gelben Kabinetts aussieht, hebt seine Stimme zu einem versteckten Triumpf an, und dann verkündet er: Das gelbe Regal in Münster existiert auch nach mehr als neun Tagen noch. Bei dieser Meldung darf man sich fragen, ob wir uns schon in jenem Zukunftsstaat befinden, den Ray Bradbury in seinem Roman „Fahrenheit 451“ beschreibt, und in dem der Besitz eines Buches einem schweren Vergehen gleichkommt. Denn was ist geschehen? In Münster wechselten eine Handvoll Bücher den Besitzer. Okay, keine Handvoll, sondern Hundert Bände stehen täglich auf dem vier Meter langen an der Straße errichteten gelben Regal. Jeder kann sich kostenlos mit Büchern eindecken und eigene Bücher dafür einstellen. Täglich beteiligen sich etwa 50 Menschen an diesem Austausch. Als Kulturprojekt war die Aktion von der Interessengemeinschaft des Kuhviertels geplant worden, bevor sie zu einer städtischen Attraktion wurde.

In einer Welt, in der Millionen Buchtitel produziert werden, kommt es einer Sensation gleich, dass Menschen ihre Bücher unentgeltlich auf der Straße eintauschen. Das muss man sich vorstellen. Tatsächlich scheint das Buch im digitalen Zeitalter zu einer Art subversivem Gut geworden zu sein. Die Münsteraner sind übrigens keineswegs die Erfinder solcher Guerrilla-Bibliotheken. Es gibt sie auch in Mainz, wo man gleich am Rheinufer einen alten Stromkasten entkernt und mit doppelseitigen Regalen versehen hat. Schon aus der Ferne sieht man, wie Menschen davor ihre Nase in die Bücher stecken, um einmal zu kosten, welches literarische Material der Zufall da angeschwemmt hat.

In Köln existiert ebenfalls eine solche Kiste mit Plexiglastür, damit man sehen kann, was im Innern deponiert ist. Gleich an der Straßenecke vor der Filiale einer großen Buchhandelskette eingerichtet, provoziert die Auswahl mit Kinderbüchern, politischen Romanen, einem alten Band von Truman Capotes Erzählungen, etwas Fantasy für Teenager – was der Zufall eben gerade so für Leser bereit hält. Wenn die Bücherbox leer ist, liegen am nächsten Tag wieder neue Exemplare in ihr. Aber auch in den Wartezimmern der Ärzte kann man nun schon solche literarischen Depots finden. Es ist ein anderer, spielerischer, augenzwinkernder Umgang mit dem Buch, der hier praktiziert wird. Das Interesse an Texten findet einen lustvollen, mit Neugierde gewürzten Ausdruck, vielleicht gerade weil er alle kommerziellen Interessen negiert. Hier geht es einfach um den Spaß am Unbekannten, das kann ein juristisches Fachbuch ebenso wie ein Roman von John Steinbeck oder ein Kochbuch mit Rezepten aus dem Haushalt von Wolfgang Amadeus Mozart sein. Ist das nun ein Zeichen für ein Revival oder für den baldigen Niedergang der Buchkultur? Egal, Hauptsache die Bücher sind interessant. Und ich weiß auch schon, was ich selbst morgen dort hineinstellen werde.

Thomas Linden

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