Thierry Smolderen hat mit „Das Imperium des Atoms“ eine wilde SF-Geschichte im Geiste der Pulps der 50er Jahre entworfen, die Alexandre Clerisse mit eigenwilligen Pop-Zeichnungen mit 50‘s-Referenzen aufregend illustriert. „Ein diabolischer Sommer“ ist ihre neue Zusammenarbeit mit ähnlichen Ingredienzen: 1967, eine Jugend an der Côte d‘Azur, erste Liebe, ein rätselhafter Vater, der vielleicht Agent ist, ein Toter und ein verschwundenes Mädchen. Alles drin! Plus: Auch hier trumpft Clerisse wieder mit einer tollen Retroavantgarde auf, die stellenweise verdrogt explodiert (Carlsen). Reprodukt veröffentlicht eine Sammlung von Anna Haifischs Strip-Reihe „The Artist“, die regelmäßig im Vice-Magazin auch international erscheint. Die Geschichten kreisen wie schon in „Von Spar“ (dort waren eine Handvoll depressiver Künstler in einem Sanatorium untergebracht) um ein recht abstraktes, Giacometti-mäßig leptosomes Vogelmenschwesen, das in seiner abgemagerten, verzweifelt wirkenden Erscheinung arg mitleiderregend ist. Der Künstler kämpft sowohl mit Künstlerklischees als auch mit kreativem Leistungsdruck, Selbstzweifel und was einen sonst noch so in die soziale Isolation treiben kann. Schlimm, klar, aber auch sehr komisch in dieser von Haifisch ausformulierten Form. Ein mit „The Artist“ neu installiertes Sublabel von Reprodukt will sich auf junge Talente spezialisieren statt auf abendfüllende Graphic Novels.
Isabel Kreitz ist nicht erst seit ihren Literaturadaptionen eine der bekanntesten deutschsprachigen Comic-Künstlerinnen. Doch inzwischen sind diese Adaptionen schon fast ihr Markenzeichen. Seit zehn Jahren veröffentlicht sie im Drei-Jahres-Rhythmus nun auch Comics von Erich Kästners Kinderbüchern. Nach dem surrealen Trip „Der 35. Mai“ und dem Klassiker „Pünktchen und Anton“ ist zuletzt der Kinderkrimi „Emil und die Detektive“ (gerade neu aufgelegt) erschienen, mit dem sie wie auch in den vorherigen Bänden Kästners gelungene, kindgerechte Balance aus Freundlichkeit und moralischer Integrität inklusive leichter subversiver Tendenzen (weshalb seine Werke unter den Nazis verboten waren) gut als Comic umsetzt. Sowohl die Zeichnungen als auch die Kolorierung fangen den Zeitgeist der Bücher ein. Das gilt auch und besonders für die gerade erschienene Comicversion von „Das doppelte Lottchen“. Die bekannte Geschichte der beiden Zwillinge ist im Gegensatz zu den anderen Erzählungen aus der Weimarer Zeit nach dem Krieg entstanden. Kästners Einfühlungsvermögen in seine kindlichen Figuren wie auch in seine kleinen Leser kann Kreitz in ihren Adaption hervorragend aufgreifen (Dressler Verlag). Auch „Tim und Struppi“-Erfinder Hergé hat in den 30er Jahren neben seiner bekanntesten Reihe kleinere Serien für kleine („Stups und Steppke“) und größere Kinder („Jo, Jette und Jocko“) realisiert. Beides zählt eher zu seinem Frühwerk und ist entsprechend steifer als seine überdrehten und haarsträubenden „Tintin“-Bände ab den 40er Jahren. „Die Abenteuer von Jo, Jette und Jocko“ erzählen von zwei Geschwistern und ihrem Affen. Die braven Kinder erleben allerlei Abenteuer und legen sich mit finsteren Gestalten an. Humor kommt etwas kurz, ein paar Slapstick-Einlagen müssen reichen. Dafür ist das Abenteuer schon ganz schön aufregend geraten. Carlsen legt alle fünf Bände der Reihe neu auf. Den Start machen die beiden Bände der längeren Geschichte „Die geheimnisvollen Strahlen“.
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