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Galanter Grusel

01. September 2010

Im Portrait: Der Wuppertaler-Krimiautor Stefan Melneczuk - Portrait 09/10

In Stefan Melneczuks Werken fegt ein kalter Schauer über das Papier. Der Mystery-Thriller „Marterpfahl“ gibt Lesern die Chance, noch mehr über die verschiedenen Facetten von Gänsehauteffekten zu erleben. Stefan Melneczuk ist einer von diesen charmanten Männern, die mehr zuhören als selbst zu erzählen, unaufdringlich zuvorkommend sind, einen guten Humor haben, aber fast ein bisschen schüchtern wirken. Schwer vorstellbar, dass ein solcher Sympathikus für schlimme Schauer sorgen soll.

Macht er aber, in seinen Romanen. Als auf Augenhöhe mit Stephen King wird er gelobt, als Mann des Makabren erweist er sich seit der Kurzgeschichtensammlung „Geisterstunden vor Halloween“ oder dem Roman „Elaine“. Seine Geschichten zeichnen immer klaffende Risse im Firnis aus, die Normalität will nicht mehr funktionieren. Ein Moment des zähen Entsetzens lähmt alle Gedanken und Bewegungen. Oder um mit Storms Schimmelreiter zu sprechen: Es ist, als müsse jetzt die Nacht, der Tod, das Nichts hereinbrechen. Da muss der Leser zweimal blinzeln, um festzustellen, dass das Leben jenseits dieser Welten und Subtexte weitergeht. „Das Phantastische hat mich immer fasziniert“, bekennt er.

Vom unschuldigen Schulheft zum handfesten Buch
Die Initialzündung, dass Stefan Melneczuk, 1970 im Ruhrpott geboren, ideale Unorte und die Sphären von Traum, Wunschwelt und parallelen Existenzen in jede Richtung durchläuft und darüber schreibt, dieser erste Impuls wurde nicht durch ein Buch, sondern eine Hörspieladaption ausgelöst. „Die brachte meine Mutter vom Einkauf mit.“ An das „schreckliche Cover, von außen sah das Teil total doof aus“, erinnert er sich. Aber nach fünf Minuten des Zuhörens war er vollkommen gebannt. „Das war meine erste Begegnung mit Edgar Allan Poe.“

Der damals Zehnjährige war sofort infiziert, verschlang alle Poe-Texte und entdeckte wenig später Stephen King. „So möchte ich auch schreiben können!“, lautete sein Wunsch. „Mit 15 habe ich dann die ersten Schulhefte zweckentfremdet.“ Diesen so verfassten ersten Sci-Fi-Roman gab er 1986 in Berlin ab. „Wenn Sie uns das Manuskript abgetippt zuschicken, lesen wir es auch gerne“, lautete der lakonische Kommentar auf die handschriftliche Arbeit. „Ein Kumpel hatte eine Schreibmaschine – mit Korrekturband.“ So landete wenig später nicht nur das Skript, sondern auch Stefan Melneczuk erstmals beim Treffen junger Autoren in Berlin, „Ich war das erste Mal in Berlin, das war ein Kulturschock“.

Jenseits dessen hat es den jungen Autoren darin bestätigt weiterzumachen. Inzwischen sind es mehr als einhundert Kurzgeschichten, die der Journalist, im Brotberuf verdient er sein Geld bei der Westdeutschen Zeitung, publiziert hat, Ende der 90er Jahre brachte er die erste Erzählung heraus, und als 1998 die erste Sammlung mit Kurzgeschichten in Buchform auf den Markt kam, war das „ein tolles Gefühl“. Mehrere Romane und Auszeichnungen folgten, zurzeit recherchiert und verfasst er einen Wuppertal-Krimi, der allerdings mit den konfektionierten Ausgaben dieses Genres nichts zu tun hat.

Als „dunkles Kammerspiel“ beschreibt der Autor sein neues "Baby", das 2011 unter dem Titel „Rabenstadt“ publiziert werden soll. Thematisch geht es um die Frage, was einen Menschen aus der Bahn wirft. Und wenn er vom Leben als Gratwanderung spricht, bei der schnell vieles umkippen kann, dann wird klar: Der erste Eindruck hat nicht getäuscht, Stefan Melneczuk ist ein sensibler Mensch. „Ich habe mir schon immer viele Gedanken gemacht.“ Mit den täglichen Nachrichten setzt er sich intensiv auseinander, nicht nur, weil sie eine starke Inspirationsquelle für eigene Geschichten sind. „Wir alle bewegen uns auf dünnem Eis. Tief darunter ist viel mehr, als du dir vorstellen kannst.“ Verlust und Tod ziehen sich wie der sprichwörtliche Faden durch sein Werk.

„Kanal 38“ ist eine solche dunkle Liebesgeschichte – ohne glückliches Ende. „Zwei Drittel meiner Geschichten haben kein Happy End. Das ärgert manche.“ Er kontert mit: „Es sterben nicht immer alle Protagonisten. Das ist doch schon etwas.“ Überaus diszipliniert ist er beim Schreiben, zwischen sieben und acht am Morgen sitzt er gerne mit einer Tasse Kaffee am Laptop, und dann abends wieder, nach den Nachrichten und am liebsten bis zur Geisterstunde. „Jeder Autor sucht sein Publikum“, ist er sich sicher. Lebenspartnerin Eva ist seine strengste Kritikerin und die einzige, die er in Phasen, in denen er vollkommen isoliert und wie manisch schreibt, an sich heranlässt. „Ich war schon immer ein einsamer Mensch. Wenn früher die anderen zum Tanzen gingen, saß ich zu Hause und habe geschrieben“, beschreibt er sich selbst.

„Aber ich bin kein Horror- Onkel, der in seinem Elfenbeinturm sitzt.“ Literatur muss Stellung beziehen und den Finger auf Wunden legen, ob bei Kriegen oder massiven Einsparmaßnahmen. „Es ist schlimm, wie stark Kultur kaputtgespart wird.“ Ein Riesenfehler sei es, Stadtbibliotheken zu schließen, denn das hat Auswirkungen auf das Sprachempfinden jedes einzelnen. Als Gegenmaßnahme will er nicht nur im kommenden Jahr wieder auf Lesetour gehen. Mit seinem Schwarzen Humor will er weiter für phantastische Momente jenseits des bloßen Lesekonsums sorgen.


Stefan Melneczuks aktueller Thriller „Marterpfahl“ ist im Blitz-Verlag erschienen und kostet 12,95 Euro.

Valeska von Dolega

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