2017 legte Josef Hader mit „Wilde Maus“ sein gelungenes Regiedebüt vor. In seinem zweiten Werk „Andrea lässt sich scheiden“ (Cinedom, Cinenova, Filmpalette, Odeon, UCI) spielt er nun an der Seite von Birgit Minichmayr. Beide haben bereits im dritten Brenner-Krimi „Der Knochenmann“ wundervoll zusammengewirkt. So auch hier: Andrea (Minichmayr) ist Provinzpolizistin in Niederösterreich, mit der Gesamtsituation unzufrieden und schon längst unglücklich verheiratet. Der Gatte will eine zweite Chance, Andrea will die einvernehmliche Scheidung. Tja. Es kommt, was kommen muss: Der Mann verfällt volltrunken ins Selbstmitleid. Was nicht hätte kommen dürfen: Andrea fährt ihn versehentlich über den Haufen. Am Ende allerdings gilt ein anderer als Unfallverursacher: Der Religionslehrer und halbwegs trockene Alkoholiker Franz (Hader), der den Vorgang nun als Prüfung erachtet und sich fortan zur Buße in den Knast sehnt. Andrea indes befällt das Schuldgefühl. „Warn Sie beim Arzt?“ „Nö.“ „Warum nicht?“ „Weil i krank war.“ Ja, für grantigen Humor ist auch hier gesorgt. Aber das traurigkomische Drama ist eben auch – traurig. Dafür sorgt allen voran Birgit Minichmayr, die hier apathisch entrückt in ihrem leblosen Leben siecht und im Moment der Hoffnung erneut zu scheitern droht. Dass sie dabei nicht weint, erdrückt einen. Die Lokalitäten der trübmunteren Posse: Dorfkneipe, Dorfdisco, Dorfstraße. Über allem aber: Haders Augenzwinkern. Und das gestaltet der Regisseur und Co-Autor mitunter dermaßen absurd, dass man meint, David Lynch hätte sich auf einer niederösterreichischen Glastanzdiele verirrt. Haders zweite Regiearbeit ist vergleichsweise wortkarg und bewusst schleppend und ergebnisoffen inszeniert. Eben daraus entsteht ein wundervolles kleines Meisterwerk.
Josef Hader ist zur Vorpremiere am Dienstag, 2.4. im Cinenova (20.30 Uhr) und Odeon (19 Uhr) zu Gast.
Eine ärmliche, aber sicher nicht die ärmste Gegend in Dakar, der Hauptstadt des Senegal: Hier wohnt der 16-Jährige Seydou mit seiner Mutter und den jüngeren Geschwistern in einer kleinen Behausung, in der sie alle in einem großen Wohnraum auf dem Boden schlafen. Während die Mutter auf dem Markt einen Verkaufsstand hat, gehen die Kinder zur Schule. Seydou und sein Cousin Moussa träumen von einem luxuriöseren Leben und wagen mit heimlich erarbeitetem Geld eine Busreise nach Mali, um durch die Sahara nach Libyen und dann weiter nach Italien zu gelangen. Der italienische Regisseur Matteo Garrone hat mit seinen Mafiafilmen gezeigt, dass er bereit ist, die brutalen Schattenseiten des menschlichen Daseins in Szene zu setzen. Bei der Odyssee von Seydou und Moussa in „Ich Capitano“ (Cinenova, OmU im OFF Broadway und in der Bonner Kinemathek) spart er die Brutalität zwar nicht aus, aber er setzt sie nur selten voll ins Bild. Dafür zeigt er die lange Kette an kaltblütigen Nutznießern – Passfälscher, Schlepper, Gangster und auch die Polizei und das Militär. Denn die Flüchtlingsströme sind – aus Not, Verzweiflung oder im Fall unserer beiden Protagonisten auch aus Naivität und Übermut – für die einen ein Hoffnungsschimmer, für den sie mit viel Geld und oft auch mit dem Tod bezahlen, für die anderen aber sind sie eine sichere Geldquelle. „Ich Capitano“ ist aber auch eine Heldenreise, ein bildgewaltiges Coming of Age-Drama, das unseren Protagonisten an all den schrecklichen Herausforderungen wachsen lässt, auch wenn dieser Reifeprozess in Europa kaum zu Anerkennung führen wird.
Rom 1946. Der Krieg ist vorbei, doch Gewalt bleibt. Daheim bei Delia (Regisseurin Paola Cortellesi) setzt es Hiebe. Die Mutter ist den Launen ihres Gatten ausgesetzt, ihre Tochter Marcella lernt vom Opa, den Mund zu halten. Während Marcella aufbegehrt, fügt sich Delia der tradierten Rangordnung. Oder? Cortellesi zehrt in „Morgen ist auch noch ein Tag“ (Cinedom, Odeon, UCI, Weisshaus, OmU im OFF Broadway) von Geschichten ihrer Großmütter und hat erzählerisch die Vorbilder des italienischen Neorealismus vor Augen. Das Ergebnis ist ein Schwarzweiß-Drama mitten aus dem Leben, wahrhaftig, zeitlos, identifikationsstiftend. Es zieht den Bogen ins jetzt und heute, wo in Italien und Deutschland alle drei Tage eine Frau, zumeist im Zuge häuslicher Gewalt, ermordet wird. Der erfolgreichste italienische Film 2023 ist mal albern, mal stark, in seiner Analyse und Direktheit entlarvend und berührend.
Außerdem neu in den Kinos: Balojis surreales Regiedebüt „Omen“ (OmU im Filmhaus), Annekatrin Hendels Fußballer-Doku „Union – Die besten aller Tage” (Cinedom, UCI), Nadine Zacharias Milieustudie „Fitness California“ (Filmhaus, am 10.4. mit der Regisseurin), Dev Patels Actiondrama „Monkey Man“ (Cinedom, Cineplex, UCI), Michael Mohans Kloster-Horror „Immaculate“ (Cinedom, Cineplex, UCI) und Adam Wingards Monster-Schlacht „Godzilla x Kong: The New Empire“ (Cinedom, Cineplex, Rex, UCI, OV im Cinedom und UCI).
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.

Der eiskalte Bengel
Die Filmstarts der Woche
Käthe Kollwitz entdecken
Wiedereröffnung des Käthe Kollwitz Museums am Neumarkt – kunst & gut 01/26
Beziehungen sind unendlich
„Schwarze Herzen“ von Doug Johnstone – Textwelten 01/26
Aus der Perspektive
Ingrid Wiener im Marta Herford – Kunst in NRW 01/26
Bewusst blind vor Liebe
„Mama & Sam“ von Sarah Kuttner – Literatur 01/26
Worüber sich (nicht) streiten lässt
Teil 1: Leitartikel – Wissenschaft in Zeiten alternativer Fakten
Alles auf Anfang
Lebensfragen aus weiblicher Perspektive – Vorspann 01/26
Spiel mit der Psyche
Hofesh Shechter gastierte mit seiner Tanzkompanie in Köln – Tanz in NRW 01/26
„Es ist niemals Pause“
Katharina Pethke über ihre Filme zur Arbeitswelt – Portrait 12/25
Auszeit der Ewigkeit
„Pyrofems“ von Wehr51 im Studio Trafique – Auftritt 12/25
Internationales Silvesterfest
Künstler von drei Kontinenten begegnen sich in Köln – Klassik am Rhein 12/25
Vom Ausstellen
Hans-Peter Feldmann im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 12/25
Gegen die Vermüllung der Stadt
Teil 1: Lokale Initiativen – Umweltschutz-Initiative drängt auf Umsetzung der Einweg-Verpackungssteuer
„Man spürt den Theatermenschen“
Dirigent Daniel Johannes Mayr über die Bonner Wiederentdeckung der Oper „Die Ameise“ – Premiere 12/25
Armutszeugnis im Reichtum …
… und alternative Fakten im Wirtschaftssystem – Glosse
Bilder in Sorge
„Amazônia“ von Sebastião Salgado im Rautenstrauch-Joest-Museum – kunst & gut 12/25
„Je größer das Vermögen, desto geringer der Steuersatz“
Teil 1: Interview – Finanzwende-Referent Lukas Ott über Erbschaftssteuer und Vermögensungleichheit
Orgeltrio mit frischem Sound
„Deadeye“ im Kölner Stadtgarten – Improvisierte Musik in NRW 12/25
„Stromberg hat Relevanz für die heutige Zeit“
Ralf Husmann über „Stromberg – Wieder alles wie immer“ – Gespräch zum Film 12/25
Bach mit E-Gitarre
Das Ensemble Resonanz in Köln und Dortmund – Klassik an der Ruhr 12/25
Der Staat will zuhören
Wandel im niederländischen Sozialsystem – Europa-Vorbild: Niederlande
„Beweise sichern für das, was afghanische Frauen durchmachen“
Sahra Mani über ihren Film „Bread & Roses: A Fight for Women's Rights“ - Portrait 12/25
Jenseits des Schönheitsdiktats
„Verehrung“ von Alice Urciuolo – Textwelten 12/25
Praktisch plötzlich doof sein
Helge Schneider präsentiert seine neue Tour – Prolog 12/25
Langfilmdebüt einer Schauspielerin
„Paternal Leave – Drei Tage Meer“ im Filmhaus – Foyer 12/25