Der „Prinzipal“ der Kulturkirche zu Köln-Nippes, Pfarrer Thomas Diederichs, bittet die anwesenden Journalisten um Verständnis dafür, dass der Kosmopolit, Deutschschweizer und Schriftsteller Christian Kracht das Photographieren während seiner Veranstaltung untersagen lässt. Vor der Kulturkirche sammelt der Westdeutsche Rundfunk und das Deutschlandradio Meinungen und Ansichten ein. Die „Security“ guckt so grimmig wie bei einem Rockfestival anlässlich der Auflösung der „Hell`s Angels“. Es liegt was in der Luft.
Es ist die vom „Der Spiegel“-Redakteur Georg Diez ausgelöste Debatte darüber, ob Christian Kracht ein „rechter“ Autor sei. Rechts in der Tradition von Benn oder Botho Strauß, von Ezra Pound oder Cioran. Doch was an diesem Abend in der Luft zu liegen scheint, entpuppt sich als ein Sturm im Wasserglas, sobald Christian Kracht zur Beschreibung eines Sturmes auf dem Ozean ansetzt, der dem Protagonisten seines neuen Romans auf dem Weg ins Wilhelminische Neuguinea machtvoll zusetzt.
Christian Kracht lässt sich verteidigen, auch von Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, die angesichts der Einwände des „Der Spiegel“-Redakteurs an ihrem eigenen Verstand zweifelte. Aber Kracht erhebt selbst nicht das Wort in eigener Sache, er lässt seine Fiktion sprechen, die sicher zu den originellsten und stilistisch präzisesten Prosatexten gehört, die die deutschsprachige Literatur in den letzten Jahren hervorgebracht hat.
Zunächst erfolgt die Einführung durch Hubert Spiegel von der FAZ, dessen Apologie in ein Kompliment an die Zuhörer mündet: Da die Veranstaltung noch vor dem Hereinbrechen des polemischen Wasserglassturms ausverkauft war, gratuliert er dem Publikum für dessen guten Literaturgeschmack, ohne es dem Verdacht der Skandalgeilheit auszusetzen. Etwas zu gut gemeint, in der Kulturkirche eskalierte kein Skandal.
Dann beginnt Christian Kracht seinen gut einstündigen Vortrag, erzählt die semi-reale Geschichte des deutschen Aussteigers August Engelhardt zur vorletzten Jahrhundertwende. „Moby Dick“, „Das Herz der Finsternis“ oder auch „Robinson Crusoe“ kommen dem Zuhörer in den Sinn, doch entbehren diese Klassiker dem, was „Imperium“ besonders auszeichnet und auch so verstörend macht: Ironie.
Christian Kracht ist ein weitaus besserer Autor denn Vorleser, wenn auch das ihm angetragene Dandytum im Vortrag seines vielschichtig verdichteten Textes diffundiert und der immanenten Ironie einen faszinierend melancholischen Anstrich verleiht. Lediglich zwei Gäste verlassen die Kulturkirche vorzeitig. Der ironisch-ironisierende, humorvolle, gar komisch anmutende Duktus, den Krachts Lesung noch betont, dürfte die Diskussion um das tendenziell „Rechte“ in seinen Texten und in den Sujets seiner Interessen, u. a. für Nordkorea und Diktaturen, für Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit Metanbildung oder die Rückeroberung der Malvinen (der Autor lebt in Buenos Aires) ins Absurde überführt haben.
An diesem denkwürdigen Abend erscheinen die schablonenhaften Vorwürfe so absurd wie die Ernährungsgewohnheiten des Protagonisten aus „Imperium“: ausschließlich Kokosnuss. Und Krachts Vortrag, ohne sein Oeuvre weiter kommentieren oder rechtfertigen zu wollen, wird zu einer Kopfnuss der schmerzfrei-eleganten Art für diejenigen, die ihn in einer Ecke verorten wollen, die ihm nicht gerecht wird, da sie lediglich von einer Engstirnigkeit (wenn nicht sogar von Neid?) zeugt, die Christian Kracht sowie den Veranstaltern der Lesung am allerwenigsten vorzuwerfen wäre.
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