Herzen in Rinden zu schnitzen, ist definitiv out. Es grenzt ja fast an Baumfrevel, mit dem Messer daran herumzuritzen – sagt unser Öko-Über-Ich. Und was wird aus der Liebe, wenn mal der Blitz ins Gehölz fährt? Die Fans der Liebesschlösser haben also schon recht: Nicht die Natur, nur Stahl und Eisen bekunden die Intensität tiefer Gefühle. Das theater der keller widmet sich jetzt in einem Stück dem neuen Brauch. „Liebesschlösser“ heißt die „Revue aus der Mitte der Stadt“, die Thomas Ulrich im November in Szene setzen wird. Wird auch Zeit, schließlich sollen schon etwa 40.000 Schlösser auf der Hohenzollernbrücke hängen. Rechnet man das auf die letzte Bundestagswahl um, kommt man auf mehr als 10 Prozent der Kölner Wahlberechtigten. Die Liebesschwörer wären vor Ort zur viertstärksten Partei aufgerückt. Und wenn wirklich alle 40.000 Paare auch noch den Schlüssel in den Rhein geworfen haben, dann Schifffahrt ahoi!
Woher der Brauch kommt, weiß niemand so genau. Im ungarischen Pécs wurden die Schlösser schon früh gesichtet, auch in den baltischen Staaten oder in China. Und in Florenz dokumentieren junge Männer das Ende ihres Militärdienstes damit, dass sie die Vorhängeschlösser ihrer Spinde an einer Brückenlaterne befestigen. Zum Hype wurde der metallene Liebesschwur, als der Autor Federico Moccia den Brauch 2006 in seinem Jugendroman „Ho voglia di te“ beschrieb und der Sänger Tiziano Ferro ihn im Musikvideo zu seiner Schnulze „To scatterò una foto“ verewigte. Danach breitete sich die Mode epidemisch in fast jeder europäischen Stadt aus.
Das Theater ist in Sachen Liebesschlösser also ein Nachzügler. Nach Literatur, Film und Musik (Die Höhner!) hat sich auch die Wissenschaft des Phänomens bereits angenommen. Dagmar Hänel und Mirko Uhlig von der Abteilung Volkskunde beim LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte sind dem Brauch nachgegangen. In Köln soll es inzwischen bereits Schlösser in der dritten Generation geben. Da zieht nach den Jungen dann die ganze Familie nach. Und die Brücke als Ort der Liebesbekundung soll etwas mit der verlängerten Phase des Übergangs zwischen Jugendzeit und Erwachsenenzeit zu tun haben. Aha.
Dass die Schlösser seit 2008, also parallel zur Finanzkrise, so richtig in Mode kamen, ist wahrscheinlich kein Zufall. Wenn schon alles ins Rutschen gerät, dann sollen zumindest traditionelle Werte wie Liebe und Treue noch etwas gelten. Ein bisschen eisernes Biedermeier in der Krise sorgt für ruhigeren Schlaf. Doch nicht überall dürfen Liebende sich so ungestört im öffentlichen Raum aneinanderketten. In Düsseldorf ist die Stadt schon dagegen eingeschritten, in Berlin auch. Vor allem der Korrosionsschutz der Brücken soll darunter leiden, heißt es bei den Ämtern. Brücke durch Schlösser zum Einsturz gebracht – wir sehen schon die Schlagzeilen. Dabei geht es doch einfach nur um die Liebe!
„Liebesschlösser“ I 15.(P)/16./21./22./30.11. 20 Uhr I theater der keller I 0221 27 22 09 90 I www.theater-der-keller.de
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