Am 17. Januar dieses Jahres tickerte die Deutsche Presseagentur: „Mehr Frauen in Vorständen noch vor Inkrafttreten neuer Vorgaben“. Gemeint war das im Sommer 2021 mit der Mehrheit der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD im Bundestag verabschiedete Gesetz, das mehr Frauen in Vorständen großer Unternehmen vorschreibt. Laut der Meldung haben die „66 börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen“, die unter das neue sogenannte „Mindestbeteiligungsgebot“ fallen, 49 eine Frau im Vorstand. Immerhin sieben mehr als zum Zeitpunkt, als die Bestimmung verabschiedet wurde. Die restlichen 17 Unternehmen haben noch bis zum 1. August 2022 Zeit, sonst drohen Sanktionen. Die neue Bundesfrauenministerin Anne Spiegel (Bündnis90/Die Grünen) frohlockte: „Die Zahlen zeigen: Gesetzliche Vorgaben wirken.“
„Elitäre“ Profiteurinnen
Also alles in Butter an der Emanzipationsfront? Nein. Bezogen auf Frauen handelt es sich derzeit um die bestausgebildete Generation aller Zeiten, aber sie trifft auf Zustände, in denen sie nicht anständig bezahlt wird und trotzdem auch noch Dreiviertel der Haus- und Care-Arbeit leistet (der sich selbst emanzipierte Männer beharrlich verweigern). Zwar kommen mit der neuen Regelung einige hochqualifizierte Frauen völlig zu Recht auf jene Positionen, die ihnen Männer seit Generationen feist und frech verwehren. Doch bei den Profiteurinnen handelt es sich um eine „elitäre“ Minderheit. Für das Gros der Frauen gilt weiterhin, dass sie im Vergleich zu Männern bei vergleichbarer Tätigkeit oder Postition im Schnitt ein Fünftel weniger verdienen sowie überproportional geringfügig beschäftigt und somit häufig weder sozialversicherungspflichtig noch rentenversichert sind.
Frau ist halt nicht gleich Frau. Bereits in der ersten Frauenbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat eine Spaltung in proletarische und bürgerliche Frauenbewegung stattgefunden. Die Kooperation der beiden Strömungen glückte nur partiell. Die zweite, vor allem studentisch geprägte Frauenbewegung war von einem bildungsbürgerlichen Typus. Ihre Kämpfe waren wichtig, richteten sich gegen verkrustete, patriarchale Verhältnisse in Familie und Öffentlichkeit (bspw. brauchten Frauen bis 1977 die Erlaubnis ihres Ehemanns, wollten sie einen Arbeitsvertrag unterschreiben). Doch dieser bildungsbürgerlich getragene Kampf findet in einer Blase statt. Jene, aufgrund von Herkunft oder Bildungsgrad, eh schon privilegierten Frauen, erkämpfen sich seit 1968 langsam und beschwerlich gegen männliches Beharrungsvermögen ihre Plätze an den Fleischtöpfen von Macht und Kapital.
Feminismus bedeutet nicht, Macho-Gehabe zu reproduzieren
Dieser exklusive „Mittelklasse“-Feminismus kann sich aber keine Frauenrechte in toto auf die Fahne schreiben. Wenn es beispielsweise in der Werbekampagne der Internet-Putzkraftbörse „Helpling“ aus dem Sommer 2020 heißt: „Wochenenden sind zum Brunchen da“, dann werden so jene Frauen, die, oben angekommen, weder Zeit noch Lust für die Haus- und Care-Arbeit haben, gegen jene Frauen ausgespielt, die heute den herrschaftlichen Dreck aufwischen (meist alleinerziehend und auf 450-Euro-Basis), wie ihre Geschlechtsgenossinnen seit Erfindung der bürgerlichen Familie im 18. Jahrhundert. Ihr Lohn über die Jahrhunderte hinweg? Armut.
Der Punkt ist: Je mehr Frauen „es schaffen“, desto wichtiger ist, was und wie sie es schaffen. Feminismus bedeutet nicht, dass Frauen das Macho-Herrenmenschen-Gehabe einfach reproduzieren. Ziel von Feminismus sind Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, kurz: das gute Leben für alle! Und dafür braucht es mehr, als Vorstandsposten für eh schon privilegierte Frauen.
FRAU ALLEIN - Aktiv im Thema
femmetotal.de | Femme Total in Köln vernetzt Frauen aus der Kreativbranche und beratenden Berufen und bietet Veranstaltungen, Workshops und Seminare an.
www.equalpayday.de | Rechnerisch arbeiten Frauen die ersten 66 Tage des Jahres umsonst. Zum Equal Pay Day am 7. März gibt es Kampagnen und Aktionen.
equalcareday.de | Die Städtekonferenz am 1. März bietet Vorträge, Workshops und Panels zur Sorgearbeit.
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