Die Wucht, mit der der Tod gleich einem Keulenschlag in das Geflecht unserer Beziehungen fährt, hat uns Andreas Dresen gerade noch im Kino mit seinem Meisterwerk „Halt auf freier Strecke“ gezeigt. Auch in der Literatur ist der Tod neben der Liebe das zentrale Thema jedes Nachdenkens über das Leben. Möglicherweise handelt es sich ja auch gar nicht um zwei Sujets, sondern um eines. Denn mit der Liebe erhält der Tod erst sein Gewicht, und zugleich liegt in ihr der Quell des Trostes. Das zeigen in diesem Winter drei großartige Bücher, in denen drei Autoren unverstellt von jeglicher Fiktion über ihre Erfahrung mit dem schmerzhaften Schnitt des Verlustes sprechen.
Hansjörg Schneider legt sein „Nachtbuch für Astrid“ vor, ein Tagebuch, das er über ein Jahr hinweg nach dem Krebstod seiner Frau verfasste. Die Klarheit, mit der Schneider in kurz skizzierten Bildern beschreibt, wie seine Frau Rechnungen erledigt, ihm über den Kopf streicht, er ihr die Füße wäscht und dann ihren Todesmoment verpasst, obwohl sie ihn bittet, an ihrem Bett zu bleiben, das geht direkt unter die Haut.
Mit einem Autounfall beginnt Joyce Carol Oates Bericht „Meine Zeit der Trauer“. Den Crash steht sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Ray durch. Nach dieser Eröffnung ist man als Leser fast so benommen wie die beiden, die noch unter Schock vom Unfallort tapfer nach Hause fahren. Dann stirbt Ray unerwartet im Krankenhaus am „Versagen einer Sekundärfunktion“. Banale Formulierung für die Katastrophe, die sich nun im Leben der Amerikanerin vollzieht. Alleine tappt sie wieder in das dunkle Haus, in dem sie mit ihrem Mann gelebt hat. Die Katzen nehmen ihr Rays Tod übel, halten sich fern von ihr, sterben. Eine Freundin sagt ihr „Leide ruhig, Joyce! Ray war es wert“. Ihr Kollege Richard Ford bietet ihr an, mit dem Flugzeug zu kommen und alle Autofahrten für sie zu erledigen. Oates beschreibt faszinierend, wie sie mit dem Verlust des Partners selbst als Person schrumpft. Zorn erfasst sie bei der Vorstellung, nicht alles für Ray im Krankenhaus getan zu haben. Und der Zorn geht in die Scham über, nun allein zu sein, so dass die Dinge des Alltags jeden Sinn verlieren. Der Glanz ist abgezogen. Selbstmord kommt ihr nur noch lächerlich vor. Letztlich findet sie aber wieder ins Leben zurück.
Das Leben ist für A.F.Th. van der Heijden nie in Frage gestellt, dabei ereilt den Niederländer die Höchststrafe, die das Schicksal für einen Vater bereithalten kann. Am Pfingstsonntag 2010 wird van der Heijdens einziger Sohn „Tonio“ in Amsterdam nachts auf dem Fahrrad angefahren und stirbt am gleichen Tag. Dieser Requiemroman beginnt jedoch mit dem vollkommenen Glück. Van der Heijden erzählt von einem Morgen, an dem sich alles in seinem Leben auf fast wollüstige Weise fügt, selbstverständlich scheint die Sonne. Zu diesem Zeitpunkt hat ihn die Nachricht noch nicht ereilt. Wie selbstverständlich beantwortet van der Heijden die Frage, ob wir uns mit etwas möglicherweise so Belastendem wie dem Tod konfrontieren wollen. Denn nirgendwo ist der Stoff, aus dem die Texte sind, dichter gewebt und substanzieller im Gehalt als in diesen Versuchen, mit dem Unerklärlichen umzugehen. Mit Lust hat das viel zu tun. Van der Heijden erzählt in Szenen, Geschichten, Bildern und Anekdoten das Leben seines Tonio von dem Moment an, in dem er und Miriam Rotenstreich, die Mutter, den Namen des Jungen finden, dem nur 22 Jahre beschieden sind. Ein Buch prall gefüllt mit Leben, ein Buch der Freude.
Hansjörg Schneider: Nachtbuch für Astrid |
Diogenes Verlag, 128 S., 19,90 €
Joyce Carol Oates: Meine Zeit der Trauer | Deutsch von Silvia Morawetz |
496 S., 24,96 € A.F.Th
Van der Heijden: Tonio | Deutsch von Helga van Beunigen |
Suhrkamp Verlag, 672 S., 26,90 €
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