Das muss ihm gefallen haben, noch einmal Gastgeber in der Stadt der Liebe, des Luxus und der Mode zu sein. Niemand hat das Bild der Deutschen von Paris seit dem großen Krieg so nachhaltig geprägt wie Georg Stefan Troller. Sein „Pariser Journal“ flimmerte während der sechziger Jahre über die Bildschirme östlich des Rheins und gab eine Ahnung vom Geschmack jener Freiheit, die man sich in Deutschland noch nicht so ohne weiteres zu nehmen getraute. Wie eine Fortsetzung seines prickelnd inspirierenden „Journals“ in Buchform nimmt sich die Reihe CORSOfolio aus, in der Troller nun den Paris-Band als Gastgeber präsentiert.
Ein interessantes Projekt und ein neuer Verlag aus Hamburg, der dem Angebot der digitalen Literatur demonstrativ trotzen möchte. Mit jedem Band führt uns ein Autor in die intimen Gärten seiner Lieblingsstadt. In Rom ist das Martin Mosebach, in London Matthias Politycki, in Wien Eva Menasse. Verleger Rainer Groothuis, der das Büchermachen bei Wagenbach erlernte und spätestens seit seiner Erfindung der feuerroten Salto-Reihe bewiesen hat, wie man Leser süchtig nach schönen Büchern macht, glaubt, dass nur ein wirklich geschmackvoll und handwerklich perfekt gemachtes Buch eine Chance gegen das digitale Literaturangebot besitzt. Eine rührend romantische Vorstellung, die wir ihm auf keinen Fall ausreden möchten.
Denn neben solch herrlichen Kleinoden, wie Pier Paolo Pasolinis „Reisen in 1001 Nacht“ oder Walter Benjamins ausgesuchte Aphorismen „Passagen, Kristalle“ gibt es nun eben auch die Reihe mit den Stadtbüchern. Die kommt nicht alleine im Format eines Tafelbuchs (22 x 30 cm) mit großartigen Fotografien daher – im Paris-Band sind es die sinnlich-stimmungsvollen Arbeiten von Fritz Henle – sondern die Texte der eingeladenen Autoren lesen sich gleichfalls so appetitlich, dass man alle hintereinander schmökern möchte. Und wer würde nicht wissen wollen, warum die Pariserinnen ihre Seele auf den Spitzen ihrer Brüste tragen? Paul Nizon erklärt uns, warum im stinkbürgerlichen Frankreich die Kinder keineswegs immer dem Ehebett entspringen. Mit Anne Weber gehen wir in der Rue Saint-Denis ein paar Handschellen kaufen. Louis Begley erzählt sehr konkret und zugleich mit ironischer Eleganz von einer Affäre, in der sich pointiert der Zeitgeist spiegelt. Dany Leder spaziert durch den jüdischen Kosmos von Paris. Wir begegnen Michel de Montaigne, Marie Antoinette oder den „Hurensöhnen“, die auf dem Fußballfeld einst als Götter verehrt wurden. Nach diesen und etlichen anderen Exkursen zum „intelligentesten Quadratkilometer der Welt“, zur Seele und in den Bauch von Paris, führt der Weg wieder zu Georg Stefan Troller, der mit seiner trocken-pointierten Diktion verrät, wie Paris hinter den Kulissen tickt.
Im Stil einer Zeitschrift ist dieses Magazin gestaltet, die Texte sind eigenwillig geschrieben, bleiben ihrem Sujet aber immer verpflichtet. Die Bilder geleiten das Auge von einem Thema zum nächsten, jeder Seite wird ein stilsicheres Layout zugestanden. Eine Zeitschrift ohne Werbung, ein Buch, das im Bild eine Fortsetzung des Textes praktiziert, ein schöner Gegenstand, der aber nicht für Bibliophile, sondern für Leute gedacht ist, die mit dem Buch ein Stück Inspiration erwerben möchten. Damit lässt sich leben.
„Paris, Liebe, Moden, Tête-à-Têtes“ I CORSOfolio 2, 160 Seiten, zahlr. Abb. I Hardcover I Verlag CORSO I 24,95 €
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