Neben einer defekten Anzeigetafel in einem ICE klebt ein Post-it. Auf diesem steht mit grünem Filzstift „Wagen Nr. 21“. Die Bildunterschrift: „Filzstift: 1, moderne Technik: 0“. Ein anderes Bild aus dem neuen Buch von Poetry Slammer Sebastian 23 zeigt das Schaufenster eines Ladens für Innenarchitektur. Der Laden heißt „Popo“ und im Schaufenster stehen Stühle. Als Bildunterschrift steht der Kommentar: „Es ist eine Sache, seinen Laden für Innenarchitektur ‚Popo‘ zu nennen. Aber muss man ihn dann mit Stuhl füllen?“. Hier gelingt Sebastian 23 genau das, was Poetry Slam-Kollege Torsten Sträter im Vorwort feststellt: Er zieht Zusammenhänge, wo andere Menschen keine sehen.
Bilder statt Texten
Im Gegensatz zu den bisherigen Werken von Sebastian 23 bietet „Purer Unfug“ ein anderes Konzept. Im Vordergrund stehen Bilder, die Sebastian 23 über Jahre während seiner unzähligen Reisen von Poetry Slam zu Poetry Slam vorwiegend in Deutschland aufgenommen hat. Auf 128 Seiten finden sich zum Großteil Fotos, aber auch einige Texte. Das Ziel ist aufzuzeigen, dass es der Menschheit nicht immer gelingt, so seriös zu wirken, wie sie gerne wirken würde.
Mit dieser Fotosammlung von Alltagsunsinn stellt sich Sebastian 23 noch breiter auf. Während seine Kernkompetenz in der Produktion von Poetry Slam-Texten sowie Moderation der Slams liegt und er mit seinem Alter Ego KLON 23 auch musikalisch Fuß gefasst hat, weist ihn dieses Werk zudem auch als Beobachter mit fotografischem Anspruch aus und zeigt, dass ein Foto einem Text manchmal überlegen sein kann.
Dass die Welt voll mit Unfug ist, ist wenig überraschend. Dass der Unfug jedoch teilweise schon direkt vor der eigenen Haustür zu finden ist, überrascht umso mehr. Während oft dazu geneigt wird, die bekannte Umgebung auszublenden und nur Neues wahrzunehmen, behält Sebastian 23 einen Blick für Alltägliches. Dies mag mit seinen Reisen zusammenhängen, bei denen er unweigerlich mit Unbekanntem konfrontiert wird. Auch Torsten Sträter stellt im Vorwort nüchtern fest: „Er hat da ein Auge für“.
Unfug mit Köpfchen
Neben dem Aufzeigen des Unfugs liegt der größte Wert des Buches vor allem darin, dass es dafür sensibilisiert, stärker seine Umwelt wahrzunehmen. Die Fotos schwanken dabei von Bildern mit ausgesprochen purem Unfug bis zu Bildern mit sogar schon Qualitätsunfug. Zwar zündet nicht jedes Bild beim ersten Betrachten, viele erst nach Hinzuziehen der Bildunterschrift, doch amüsieren andere dafür umso mehr. Inbegriff eines absolut gelungenen Bildes ist eines, auf dem ein dem Umfallen nahes gelbes Schild auf einem dunkelgrauen Fliesenboden steht. Das Schild trägt die Aufschrift „Achtung! Rutschgefahr“. Spätestens mit dieser fotografischen Zusammenstellung hat sich Sebastian 23 ausreichend für den Titel „der Herr des Unfugs“ qualifiziert.
Sebastian 23: Purer Unfug – Fotos von Quatsch und komische Texte |
WortArt Verlag | 128 S., 12,95€
www.sebastian23.com | KLON 23 | Trailer zum Buch
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