Die Herausgeber der Zeitschrift „Literaturen“ verkündeten in diesen Tagen, dass sie die Hälfte ihrer Redakteure zum Jahresende entlassen werden, um der Zeitschrift „Opulenz“ zu verleihen, sie gar in ein „Seherlebnis“ zu verwandeln. Man macht keinen Hehl daraus, dass kritische Berichterstattung out ist. Immerhin war „Literaturen“ im Bereich der literarischen Debatten die bedeutendste Zeitschrift in Deutschland. Jetzt gewinnt man den Eindruck, als sei die viele Leserei den Machern doch ein wenig zu anstrengend geworden. Sigrid Löffler, die ehemalige Chefredakteurin, hatte sich schon vor einem Jahr mit dem Hinweis von der Zeitschrift verabschiedet, dass Literaturen zu einem Wohlfühlmagazin werden soll. Dazu passt, dass sich die Zeitschrift in Zukunft stärker im Internet als am Kiosk präsentieren will.
Surfen und Bilder Angucken lässt sich halt relaxter bewältigen, als lange Texte zu lesen. Da könnte einen der Verdacht beschleichen, dass auch dort, wo sich scheinbar das Kerngebiet literarischen Lebens befindet, Leute die Weichen stellen, die selbst gar nicht mehr lesen. Was für eine Vorstellung auch, Belletristik am Computer zu lesen. Wer hat schon Lust, einen Text, der mehr als zwei Seiten Länge aufweist, am Bildschirm zu schmökern? Dass sich vor dem PC literarische Debatten führen ließen, hat man einmal in den 90er Jahren geglaubt, aber davon sind wir inzwischen lange kuriert. Mehr als einige verbale Stimmungsabsonderungen von Fans, denen gerade danach ist zu sagen, was sie toll oder sch ... finden, bekommt man in den Chatrooms selten geboten, aber dafür darf jeder mitmachen. Analytisches Denken, das wir über der Lektüre – und nur dort – erwerben, ist nicht gefragt, wo unterhaltsame Bildstrecken geboten werden. Obwohl man es natürlich gerade dort gut gebrauchen kann, denn wer das kritische Denken in der Auseinandersetzung mit Texten und ihren Inhalten erworben hat, der vermag auch Bilder zu befragen und will dann wissen, warum ein Bild gemacht wird, wozu es dient und nimmt es nicht als belanglosen Zeitvertreib hin.
Interessant an dieser Strategie, Texte durch Bilder zu ersetzen, wie es nicht alleine in der Zeitschriftenbranche, sondern auch in immer größeren Bereichen der Verlagswelt zu beobachten ist, scheint die Vorstellung, dass Bücher und literarische Diskurse im Grunde nur langweilig sein können. Nur kurz sind die Rezensionen, Tipps sozusagen. Dass aber in der Beschäftigung mit einer Geschichte manchmal die ganze Welt verhandelt und dabei entdeckt werden kann, davon gibt es dann kaum noch eine Vorstellung. Man hat „Harry Potter“ oder „Anna Karenina“ nicht gelesen, wenn man den Film gesehen hat. Man hat auch nicht Eingang in das Werk eines Autors gefunden, wenn man weiß, wie es in seinem Wohnzimmer aussieht. Während man die Homestory aber nach dem Umblättern wieder vergessen hat, erinnert man sich an Anna und Harry ein Leben lang.
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