„Ich habe meinen Exmann auf der Straße gesehen. Ich saß auf der Treppe der neuen Bücherei.Hallo, mein Leben, sagte ich. Da wir mal siebenundzwanzig Jahre verheiratet waren, fühlte ich mich dazu berechtigt. Was? Sagte er. Welches Leben? Meins nicht.“
Nicht alle Ehegeschichten erzählen sich so harsch, wie Grace Paleys Storys in ihrem Band „Ungeheure Veränderungen in letzter Minute“. Ehen, das sind die Teile des Lebens, die nach dem Happy End in Weiß beginnen, wenn die Körper noch gierig miteinander verschmelzen und der Mann sich zum Beispiel angesichts seines Glücks nicht vorstellen kann, „dass er sie je enttäuschen könnte“, wie es in Stewart O’Nans Roman „Die Chance“ heißt. Um Enttäuschungen und die Frage, wie man mit ihnen umgeht, dreht sich aber einiges in den Geschichten von zweien, die forsch behaupten, ein Leben lang zusammenbleiben zu wollen. Wie sehr der Keim des Scheiterns manchmal schon in der ersten Begegnung enthalten ist, schildert das dritte Meisterwerk aus Amerika, mit dem dieser Bücherherbst aufwartet.
In seinem erstmals 1984 in den USA erschienenen Epos „Eine strahlende Zukunft“ erzählt der zu Lebzeiten von den Medien fast vollkommen ignorierte Richard Yates, wie ein Paar an den Illusionen scheitert, die man sich voneinander macht. Michael will den Durchbruch als Schriftsteller erzwingen und verzichtet aus Ehrgefühl auf die Möglichkeiten des beträchtlichen Privatvermögens seiner Frau Lucy. Der Erfolg stellt sich nicht ein, der Druck innerhalb der Beziehung steigt wie in einem Dampfkessel. Die großartige Aktualität des Romans liegt in seinem Blick auf eine Welt, in der die Menschen stärker in den Bildern einer glamourösen Welt der Kunst und des Erfolgs leben, als in ihrer Realität. Yates gibt uns eine Vorstellung davon, dass die Realität zwar nicht „strahlend“ schön ist, in ihr aber das Glück gefunden werden kann.
Von Marion Fowler, der Protagonistin seines Romans „Die Chance“ weiß Stewart O’Nan hingegen zu berichten, dass „sie schwor, sie würde sich nie wieder täuschen lassen“. Die Ehe ist kaputt, das Paar steht vor der Pleite, und dabei hatte sie als „junges Mädchen geglaubt, sie seien Seelenverwandte“. An ihrem Hochzeitstag reisen die beiden an die Niagarafälle, wie sie es beim Honeymoon gemacht hatten und sie erarbeiten sich eine Chance auf Eherettung. O’Nan liefert eine präzise Beschreibung des Ehefrusts. Mit der Lupe zeigt er, wie sich Paare immer wieder in den gleichen Mustern verhaken. Ein Buch, das auf unsentimentale Weise anrührt, durch das Bemühen, das in ihm offenbart wird, diese seltsame Konstruktion, die sich Ehe nennt, zu retten. Und doch, O’Nan geht noch einen Schritt weiter, denn was liegt jenseits des Ärgers und der flauen Gewohnheit des Alltags. Auch Yates und Paley blicken über die Konfliktwolken hinaus, dorthin, wo aus einem Paar zwei Einzelwesen geworden sind und jeder die Einsamkeit gespürt hat, die niemand abschütteln kann. Grace Paley nimmt da kein Blatt vor den Mund, bei ihr gibt es keine Opfer, keine Klagen, weil ihre Frauengestalten vollkommen unabhängig agieren. Sie pflegt den härtesten Realismus, manchmal an der Kante zum Zynischen, aber erfrischend sind sie, ihre Frontalangriffe auf die Lebensmuster von Männern und Frauen.
Grace Paley: „Ungeheure Veränderungen in letzter Minute. Storys“ | Schöffling & Co | 256 S. | 19,95 €
Richard Yates: „Eine strahlende Zukunft“ | DVA | 496 S. | 22,99 €
Stewart O’Nan: „Die Chance“ | Rowohlt | 224 S. | 19,95 €
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