„Bücher wird es immer geben, schon alleine ihre Sinnlichkeit, man will doch etwas so Schönes anfassen. Das kann mir die Elektronik nie ersetzen“. Wie oft man diesen Satz doch hört, und wie überzeugt die Menschen von der Zukunft des Buches als Gegenstand sind, dabei scheint gerade die Hardware der Literatur bedrohter denn je. So hat man viele Menschen dazu gebracht, den Kinosessel gegen die Wohnzimmercouch zu tauschen, und vom Fernsehen ging es dann vor den Rechner, so dass heute mehr Männer zwischen 20 und 35 Jahren vor Spielkonsolen sitzen als vor Fernsehschirm oder Kinoleinwand.
Nun wird man uns beibringen, dass ein iPad doch wesentlich unterhaltsamer als ein Staubfänger aus Leinen und Papier ist. Vom Text geht es auf dem Screen zum Bild, das sich im nächsten Moment bewegt, ich kann aber auch bis ans Ende meiner Tage vergrößern und verlinken. Ach ja, im Buch steht immer nur das Gleiche, ein Text, der auch noch Platz beansprucht, wenn ich ihn gelesen habe. Das Buch ist ein Körper, er vermag durch Schönheit zu bezaubern, ist aber auch sperrig, träge, verletzbar und birgt die Zerstörung in sich. Allerdings birgt er auch Inhalte, das mögen Informationen sein, die muss ich nicht gedruckt vor mir haben, erfüllt sich ihr Zweck doch punktgenau in dem Moment, in dem ich sie aufnehme. Bei Geschichten sieht es anders aus. Die sind wie Räume, in die ich eintrete, in denen ich mich bewegen kann, so dass Geschichten mit ihrem Volumen einen Körper vorgeben, der auch greifbar real werden kann, ein Umstand, der das Buch zu einem genialischen Medium für ihre Verbreitung werden ließ. Wenn ich in eine Buchhandlung gehe, eröffnet sich mir die Möglichkeit, einen solchen Körper zu erwerben, die Art und Weise, wie er gemacht ist, spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle bei diesem Prozess der Verführung. Klar, ich kann auch übers Internet bestellen. Das Erlebnis des Stöberns, Entdeckens und jene Lust, die aufsteigt, wenn mir Unbekanntes begegnet, das mein Denken und Fühlen blitzartig in Bewegung versetzt, wird es ohne Bücher und Buchhandlungen so nicht mehr geben.
Aber vielleicht werden wir ja davon bald gar keine Vorstellung mehr haben, wenn Sprache, Lernen und Wissenschaft in Zukunft alleine über didaktische Programme, die nur noch elektronisch vorhanden sind, gelehrt werden. Trotz aller Nostalgie, oder sagen wir ruhig: trotz der Liebe zu diesem Gegenstand, aus dem das Fundament unserer Kultur besteht, wird die Tatsache seiner sinnlichen Reize dem Buch gegenüber der Effizienz der Elektronik kein Überleben garantieren. Alles, was das Buch kann, vermag die Elektronik auch, und sie kann es noch besser. Nur eines vermag sie nicht: Lust in uns zu entfachen, das kann nur ein Körper, weil sich nur zu ihm eine Beziehung herstellen lässt. Freuen wir uns also an dem, was sich da in prachtvoller Fülle auf den Tischen der Buchhändler unseren Händen und unserem Geist entgegenstreckt, wer weiß, wie lange es uns noch zur Verfügung steht.
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